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Urviecher und Donnerbüchsen

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Jagd auf Sardinien:
Wenn aus Hirten Jäger werden, wenn geflucht und getrunken wird, wenn antiquierte Flinten ballern, wenn Verkehrsschilder durchsiebt werden, wenn alles anders ist als bei uns, dann ist Jagdzeit auf Sardinien.

 

Von Rolf Ackermann

Antonios monströse Schrotflinte ist längst museumsreif. Die doppelläufige Franchi mit ihren steinschlossgewehrähnlichen Hähnen ist eine Rarität. So ein Vorkriegsmodell wiegt gut und gerne fünf Kilo, was arg viel ist für einen dickbäuchigen Jagdsenioren wie ihn. Kommen noch Munitionsgurte, Abfangdolch, Flachmann und Nachtglas hinzu, artet die Jagd in den Bergen mit solch einer Donnerbüchse in arge Schinderei aus. Moderne Schießeisen wiegen viel weniger, sind aber auch sündhaft teuer.

“Es muss ein Urviech gewesen sein“

Doch Antonio ist sardischer Hirte und daher arm. Sein Vater war Hirte und arm, sein Großvater war Hirte und arm, und Antonios Söhne werden es wohl auch sein: Hirten und arm. Elegante Berettas können sich nur die wenigsten Sarden leisten. Außerdem behauptet Antonio mit Stolz, hat er mit diesem Monstrum von Flinte im letzten Jahr einen 80-Kilo-Keiler erlegt, auf 300 Schritt – oder waren es gar 500 gewesen? Die vielen Beulen an den Zwillingsläufen des Ballermanns lassen zwar den argen Verdacht aufkommen, dass er so manch Borstenvieh und lahmen Fuchs mit dem Lauf k.o. geschlagen hat. Aber gegen solche Verdächtigungen wehrt sich der 50-jährige, dessen Falten im Gesicht so zahlreich sind wie die Furchen in den Stämmen der 100-jährigen Korkeichen der sardischen Gallura.

„Damit“, lallt er weinbeseelt und klopft liebevoll auf den Schaft des Gewehres, „puste ich alles um, was vier Beine hat und nicht schnell genug hinterm nächsten Felsen verschwindet!“

Franco, Il Capo, also Chef der Jagdgesellschaft, hakt sofort nach: „Komm, erzähl’ noch mal, wie das voriges Wochenende passiert ist!“

Und Antonio erzählt es zum fünften Mal an diesem Abend. Die dritte Flasche Vernaccia hat seine Zunge merklich gelockert. Aber unglaublich klingt es noch immer.

„Also …, der Keiler rast 30 Meter vor mir aus dem Genebrogebüsch, die Hunde von Carlo kläffend hinten dran. Ich die Flinte hoch – langer Lauf – Kimme – Korn – am Blatt angehalten – dann leicht vorgehalten (weil es ein schneller Keiler war!) und paaaf …“. Betroffene Gesichter, kopfschüttelndes Unverständnis. Zwölf schweigende Sarden in einem Raum. Sie können es immer noch nicht fassen. Dann ist es Giuseppe, der, aquavitgetränkt, seine Empörung in die Runde lallt. „Sooo ’ne Riesensau! 70 Kilo mindestens! Und du Cretino ballerst mit deinem Flakgeschütz fünf Meter dran vorbei! Sooo ’ne Riesensau …“, und Giuseppes schwielenbedeckte Hände mit den tiefschwarzen Fingernägeln eines Kohlenhändlers vollziehen die Dimensionen des Schweins in der Luft nach. Es muss ein Urviech gewesen sein.

Ein echter Sarde ist auch ein echter Jäger

Das Schweigen wandelte sich in Flüche. Die Weinflasche wird in immer kürzeren Abständen herumgereicht. Nein, so etwas darf nicht passieren! Solch kapitale Wildschweine gibt es nur noch selten auf Sardinien. Vorbeischießen ist da schon fast eine nationale Katastrophe. Die Jagdbesprechung auf Dinos Bauernhof, wenige Kilometer außerhalb der Provinzhauptstadt Nuoro, endet entsprechend auch im Suff. Gegen Mitternacht düsen denn auch zwölf sturztrunkene Jäger durch die Lande heimwärts. Besprochen, wie die Jagd am nächsten Tag ablaufen sollte, hatte man an diesem Abend reichlich wenig. Wozu auch. Ein echter Sarde ist auch ein echter Jäger. Das ist genetisch fixiert.

Um vier Uhr morgens des nächsten Tages zerrt mich Giuseppe aus dem Bett. Er flucht, wie er das eigentlich immer tut. Ganz so laut und überzeugend wie üblich klingt es zu so früher Morgenstunde zwar noch nicht. Aber für einen kräftigen Madonnenschmäh hält die noch immer rotweingetränkte Kehle allemal her. „Porca Madonna …!“ Warum er flucht, weiß er wohl selbst nicht. Aber die Madonna ist auf jeden Fall dran Schuld, das steht fest. Wutentbrannt rennt er durch die spärlich möbilierte Fünf-Zimmerwohnung im achten Stockwerk des trostlosen Betonsilos am Stadtrand, zerrt und klopft am Verschluss seiner ölertränkten Schrotflinte, schüttelt und klopft den Schießprügel. Doch vergebens. Die Schrotpatrone klemmt. „Porca Madonna, dann bleibt sie eben drin …“

Eine unheilvolle Konstellation

An diesem frühen Wintermorgen ist es auf der Piazza Palestro, gegenüber dem Gerichtsgebäude, auffallend laut. Autos rollen aus allen Himmelsrichtungen heran. Die Abgase kalter Motoren hüllen ein Dutzend abenteuerlich gekleideter, flintenschwenkender Männer ein. Carabinieri-Streifen fahren ständig vorbei. Männer, Gewehre, Sarden: Eine unheilvolle Konstellation. Wer weiß schon, welches Gewehr zu einem Jäger und welche Schrotflinte zu einem Bandito gehört?

Franco, Il Capo, Dino, Enzo und Carletto sind schon wieder dabei, den Unglücksschützen Antonio Idiot zu schimpfen. Francesco und drei andere noch immer Betrunkene streiten sich darum, ob es besser sei, Füchse mit 5er oder 6er Schrot zu schießen, und Carlo verprügelt soeben vier von seinen sieben Bastardhunden, weil sie ständig kläffen und versuchen, ihn ins Bein zu beißen. Weil es für sardische Verhältnisse mit ein paar Grad unter Null außergewöhnlich kalt ist und offensichtlich alle schlecht gelaunt sind, beginnt Giuseppe erneut zu fluchen. Mit der Madonna, die ohnehin immer herhalten muss, und dem Allmächtigen, der „sowieso für all das Übel dieser Erde verantwortlich ist“, hatte er schon nach dem Espresso-Frühstück abgerechnet. Deswegen musste jetzt wieder Antonio dran glauben. „Mama mia, sooo eine Riesensau!“

Auf geht’s

Dann, Carlos Hund hat sich gerade im Nacken von Francescos Bastard verbissen, kommt Hektik auf. Die kläffenden Hunde werden in die Kofferräume winziger Boliden gezwängt und eingefrorene Schrotflinten verstaut. Auf geht’s, hinaus in die sardische Wildnis. Die Straßen sind spiegelglatt, Nebel liegt über den Schluchten. Der Mond ist nirgendwo zu sehen. Vielleicht traut er sich nicht, zur Jagdzeit in Sardinien aufzugehen.

Irgendwo draußen in den kalksteinweißen, zerklüfteten Tälern des Supramonte, dort, wo man glaubt, keinen Menschen zu treffen, wo aber seit jeher Hirten und Banditen lebten und noch immer leben, brennt am Rande eines schlaglochübersäten Feldweges ein gewaltiges Reisigfeuer. Zwei finster dreinblickende Männer in bollerigen Cordhosen, eingemummt in viel zu große Lammfelljacken, stehen bibbernd am Feuer. Unnatürliche Ruhe liegt plötzlich über der Szenerie. Selbst die Hunde in den Kofferräumen jaulen nicht, obwohl sie allen Grund dazu hätten.

Die Jagd beginnt

Jeder sucht die Wärme des Feuers. Alfredo wirft einen ausgedörrten Macchiabusch auf die Glut. Knisternd züngeln die Flammen empor. Funken machen sich auf ihren kurzen Weg zum Himmel. Wie auf Kommando drehen sich die Männer herum: Vierzehn sardische Hintern am Feuer …

Die Nacht ist klar, der Tag würde schön werden. Ein guter Tag für die Jagd. Giovanni und Alfredo, die beiden Feuerwächter, die sich ihr grimmiges, angsteinflößendes Aussehen mittels Stoppelbart angedeihen lassen, sind zwei wichtige Persönlichkeiten innerhalb dieser Compagnia di Caccia, der Jagdgesellschaft. Wenngleich ihre Rolle als Fährtensucher und Terrainwachen Ruhm und Ehre eines Cacciatore nie erreichen wird, so leben sie doch im Bewusstsein, dass ohne sie quasi nichts geht, Erfolg oder Misserfolg der Jagd von ihren Fähigkeiten abhängt. Denn mit dem Abspüren des Wildes auf der recht felsigen Insel ist das so eine Sache für sich. Füchse pflegen auf dem steinigen Untergrund und in der schwer zugänglichen Macchia ohnehin keine Spuren zu hinterlassen. Bei Hasen , von denen es nur noch ein paar vereinsamte, verängstigte und daher auffallend schlappohrige Exemplare gibt, sieht es nicht anders aus. Und Rebhühner und Fasane führen ein spurenloses Dasein. Was bleibt, sind die cinqhiale, die Sauen. Ihnen gilt entsprechend daher ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit.

Plötzlich gerät Unruhe in den wilden Haufen aus Schützen, Treibern und Fährtensuchern. „Andiamo …!“, grummelt Il Capo und blickt hinüber zu den messerscharfen Silhouetten des Supramonte, hinter denen sich die Morgenröte mit dem Rest der Nacht zankt. Der Mond erblasst, zieht sich zurück und überläßt dem Tag die Verantwortung. Noch einmal geht die Flasche „Fillu é Ferru“ herum. Dann lugt die Sonne über die Berge, als wolle sie feststellen, ob sie aufgehen darf. Die Jagd beginnt.

Mühsam schreiten wir die dicht bewachsenen Hänge empor. Die Kälte weicht unter der Anstregung aus dem Körper. Erste Schweißtropfen rinnen über den Rücken. Der Atem wird kürzer, die Wege immer länger. Am gegenüberliegenden Hang werfen sturmgebeugte Bäume lange Schatten über die Bergwelt. Ein schönes Land! Die Felskegel scheinen mit der ersten Sonne zu lächeln, die Genebrobüsche säuseln in der ersten Morgenbrise. Greifvögel ziehen träge Runden über den Tälern.

Die Schützenkette steht. Franco wacht auf einem der unzähligen Steinkolosse mit strengem Blick über seine Mannen, die sich im Abstand von fünfzig Metern verteilt haben. Nur Giuseppe ist nicht zu sehen. Erst das Fiepen seines Hundes lässt erahnen, dass er sich, angetrunken, ermüdet vom mühsamen Anstieg, in einem Ginsterbusch zur Ruhe gelegt hat.

Plötzlich dringt aus dem Tal das hetzende Kläffen der Hunde herauf. Jämmerliche Töne aus den kleinen Messingtrompeten der Treiber hallen an den Felswänden wider und potenzieren sich zu einem infernalischen Lärm, der jeder Sau die Borsten zu Berge stehen lassen musste. Dazwischen das grelle Schreien einzelner Treiber, die sich ihrer gefährlichen Aufgabe bewusst sind und daher aus Angst schreien. Denn nur so kann ein Schütze im Zweifelsfalle erkennen, dass das Brechen im Gebüsch vor ihm nicht von einem gehetzten Schwarzkittel, sondern von einem Treiber stammt.

Die hetzenden Laute kommen immer näher

Eine halbe Stunde vergeht, ohne dass irgend etwas geschieht. Die Kälte kriecht wieder in Finger und Füße. Kein einsamer Fuchs, kein gehetztes Grunzen eines cinghiale, kein Hase mit angelegten Löffeln – niente! Für Momente taucht Giuseppes Kopf aus dem Ginsterstrauch auf. Ein kurzer Blick über das Tal, ein kräftiger Schluck aus der Schnapsflasche – dann verschwindet er wieder im Unterholz.

Plötzlich das hetzende Japsen und Bellen eines Hundes, der vor uns im Gebüsch ganz offensichtlich hinter einem Stück Wild her ist. Meine Hände werden schlagartig schweißnass. Die hetzenden Laute kommen näher, vielleicht achtzig Schritt entfernt. Dann frustrierende Stille. Kein Bellen, kein Brechen im Unterholz. Kein Schuss. Statt dessen taucht einer von Alfredos Hunden vor mir auf, schaut mich mit großen Kulleraugen fragend an, winselt leise, dreht sich zweimal rechts und einmal links herum und lässt sich direkt vor meinen Füßen auf einem Grasbüschel nieder. Sein zufriedenes Knurren deute ich als Vorstadium des Tiefschlafes.

Wie ein Profi

Anödend lange Stunden vergehen, ohne dass etwas geschieht. Die Füße sind längst tiefgefroren, die Nase trieft, die Ohren sind leblos. Der Hund vor meinen Füßen schläft noch immer tief und fest. Franco macht auf seinem Fels-Hochstand alle zwei Minuten Kniebeugen, springt wie ein Profiboxer von einem auf das andere Bein und schlägt wilde Boxhiebe in die Luft. „Porca Madonna“ – was für eine triste Jagd.

“Cinghiale

Gegen zehn Uhr, die Sonne bringt die langersehnte Wärme, gibt Franco das Zeichen zum Sammeln. Er hat sich offenbar beim Schattenboxen überanstrengt und wirkt sehr erschöpft und missmutig. Die Laune der anderen ist ebenfalls am Tiefpunkt angelangt. Die Aquavitflasche geht herum, Käserollen werden ausgepackt, Thunfischdosen geöffnet, Brotfladen über den Flammen geröstet und Speckscheiben angebraten.

Dann ein gellender Aufschrei irgendwo am Hang hinter uns. Franco fällt die Vernaccia-Flasche vor Schreck aus der Hand, Iwans Käserolle kullert in die Glut und alle Hunde kläffen wild los. „Cinghiale, Cinghiale“, brüllt irgend jemand oben in der Macchia. Verdutzte Gesichter. Wer schreit da? „Giuseppe? Dové Giuseppe?“ Franco ist es, der als erster erkennt, dass man den schlafenden Giuseppe oben in seinem Ginsterbusch vergessen hatte. Dann wieder der gellende Schrei: „Cinghiale …“

Männer springen auf und maulen. Hunde jaulen. Wieder Flüche, weil die Gewehre, die man mit den Mündungen aneinander gestellt hatte, sich verheddert haben. Jäger eilen mit Käsebrocken im Mund den Berg hinauf, Hunde rennen in die entgegengesetzte Richtung, Franco schreit Kommandos, die keiner hört oder hören will, und noch immer schreit Giuseppe oben in den Macchiabüschen „Cinghiale …“ Ein dutzend sardische Jäger im Jagdfieber erstürmen den Hügel.

Freudentaumel der Schützen und Treiber

Nach wenigen Sekunden trügerischer Stille dröhnt das unverwechselbare Wumm-Wumm aus Antonios Uraltflinte durch das Tal. Da läuft die Sau, keine hundert Meter entfernt rast sie über eine Wiese. Aus allen Richtungen peitschten Schüsse auf. Sandfontänen wirbeln vor, neben und hinter dem Stück auf. Das Tal ist erfüllt von Detonationen. Querschläger ziehen jaulend ihre Bahnen. Dann ist die Sau plötzlich weg.

Die Hunde hetzen fiepend auf der Fährte des Schwarzkittels über die Wiese, den nächsten Hang hoch, Alfredo und Dino im Laufschritt hinterher. Wieder vergehen fünf Minuten. Der Laut der Hunde ist nicht mehr zu hören. Die anderen starren gespannt in die Richtung, in die Dino und Alfredo verschwunden waren. Rote, aufgeregte Gesichter, glänzende Augen. Schließlich durchläuft ein hoffnungsvolles Leuchten die Augen der Schützen, als weit entfernt das dumpfe Grollen zweier Schüsse von Felswand zu Felswand hallt und sich in den Macchiabüschen bricht. Die Aquavitflasche geht von Hand zu Hand.

Nach mehr als einer Stunde, alle Wein- und Schnapsvorräte sind aufgebraucht, kommen die beiden Jäger stolz den Hang heruntergeschritten. Sie tragen die Sau, gebunden an einen starken Ast, mit den Läufen nach oben, das graue Haupt nach unten, zum Lagerfeuer. Freudengebrüll, infantiles Jauchzen. Die Flinten werden leergeschossen, neu geladen, wieder leer geschossen. Das Tal ist erfüllt vom Freudentaumel der Schützen und Treiber. In die Luft geschossene Schrotkörner prasselen auf die Erde hernieder. Beißender Rauch liegt über dem Lager. „Un bello cinghiale“, eine schöne, ein wunderschöne Sau!

Eine Apfelsine im weit geöffneten Gebrech

Sechzig Kilo Wildbret würden den Rest des Tages und die Nacht zu einem Freudenfest werden lassen. Franco und Giuseppe hieven das Borstenvieh auf den Dachgepäckträger eines Wagens – Haupt in Fahrtrichtung –, vertäuen es an allen Vieren – und steckten dem sehr toten Schwarzkittel eine Apfelsine in das weit geöffnete Gebrech, was sehr skurril aussieht. Ich bin verdutzt, sprachlos. Wozu das? „Es könnte ja sein“, doziert Franco, Il Capo, „dass irgendein vor sich hindösender Jäger oder ein degenerierter Großstadt-Schütze plötzlich glaubt, ein Wildschwein durch die Landschaft galoppieren zu sehen, voll drauf hält und dann den Fahrer des Wagens erwischt! Das kann passieren“, sagt er und nutzt die Gelegenheit, eins der heikelsten Themen auf dieser Insel anzusprechen: Die schießwütigen „Festländer“, womit die auf Sardinien ohnehin nicht sonderlich beliebten Italiener gemeint sind.

„Was ein Schwein umhaut

Die nämlich düsen alljährlich in Scharen aus den italienischen Großstädten heran. Ultima moda gedresst, bis an die Zähne mit modernsten Gewehren bewaffnet und mit dem Dünkel anreisend, dass Sardinien nun mal nur eine Provinz bella Italias sei, überrennen die festländischen Kombattanten das Eiland der Sarden mit einem derartig arroganten Selbstverständnis, dass alleine der Gedanke daran aus jedem sardischen Jäger einen Freiheiheitskämpfer macht. Analog zu der historisch manigfaltig belegbaren sardischen Spruchweisheit, „Wer übers Meer kommt, will uns bestehlen“, ist jeder italienischer Jäger mehr oder minder ein Wilderer.

Weil – zumindest in diesem Falle – jagdrechtskonforme Römer, Milanesen und Turiner das anders sehen, sprich auf ihr Jagdrecht pochen, ist der alljährliche Zwist programmiert. Auf der Insel herrscht daher in der Jagdsaison Krieg. Kein richtig erklärter Krieg. Es ist mehr so eine Art Heckenschützen-Krieg. Jedes Jahr gibt es Tote. Sarden wie auch Italiener. Allerdings mehr Italiener, munkelt man. Und daran können auch die Carabinieri als Hüter des Gesetzes nichts ändern. Deren überlebens orientiertes Pflichtbewusstsein führt sie bei den Streifenfahrten in den unwegsamen Bergregionen in der Jagdsaison seltsamerweise immer genau in jene Täler der Barbagia oder Gallura, wo sie nicht erreichbar sind (Funkschatten!). In den rechtsfreien und gesetzlosen Jagdgebieten der Insel ist denn auch jeder Jäger für sich alleine verantwortlich. Man passt halt auf, dass man nicht – natürlich, bei aller Ehre, unglücklicherweise, – von einer italienischen Ladung der bleiernen Sauposten erwischt wird. Und man trägt durch umsichtiges Handeln Sorge dafür, dass ein „Bologneser Italo-Hunter“ nicht auf eine ohnehin schon sehr tote Sau auf dem Dachgepäckträger eines sardischen Jägerautos ballert und dabei – wieder bei aller Ehre – unglücklicherweise den Fahrer des Wagens erwischt. „Was ein Schwein umhaut, haut auch einen Sarden um“, weiß Franco. Und deswegen kriegt die tote Sau eine Apfelsine ins Gebrech. Schießt dann trotzdem ein Festländer drauf, wird zurückgeschossen. Das ist dann der Beginn einer Cacciatori-Vendettá, die mit Toten und Verletzten endet und dann auch die Carabinieri auf den Plan ruft. Kommen die Gesetzeshüter, um die Todesschützen zu ermitteln, sind sich Italiener wie Sarden jedoch auf wundersame Weise wieder sehr einig in der Anwendung des auf der Apeninnhalbinsel ebenso wie auf Sardinien vorherrschenden Prinzips der Omertá – dem ewigen Schweigen.

Der Triumpfzug kann beginnen

Mit wildem Gehupe donnert unser Konvoi am späten Nachmittag über Feldwege und Landstraßen, kreuz und quer durch Nuoro, umkreist zweimal die Piazza Palestro, dreimal das Hauptquartier der Carabinieri und am Ende des Triumpfzuges das Redaktionsgebäude des Altro-Tagesblattes. In Höhe des Gefängnisses – auf dem Weg zu Dinos Bauernhof – schießt Carlo in voller Fahrt eine Ladung Schrot in die Luft und am Ortsausgang prasselt eine ganze Salve Schrot auf ein Vorfahrtsschild am Straßenrand. Ganz Nuoro weiß jetzt, dass die Compagnia di Caccia unter Franco Pinna, „Il Capo di Nuoro“, allen Widrigkeiten des Lebens zum Trotze eins der wenigen auf Sardinien noch lebenden Wildschweine erlegt hat.

Noch in der Dunkelheit treffen sich die Jäger am Feuer

 

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