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Hallo Mr. Tom – Truthanhnjagd in den USA

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Truthanhnjagd
FOTO: CHRIS EBERHART

Truthahnjagd – Mr. Tom ist nicht der Schönste, und dennoch schafft er es jedes Frühjahr, amerikanischen Jägern ein selig-verklärtes Lächeln ins Gesicht zu zaubern. CHRISTIAN SCHÄTZE reiste nach Michigan und heftete sich an seine Sporen.

Ich sitze zwischen Jim und Chris und starre durchs winzige Fenster eines Schirms auf ein Senffeld. Die beiden sind begeisterte Bogenjäger und haben von Eichhörnchen bis Bär und Elch schon so ziemlich alles erlegt, was man in Nordamerika erlegen kann. Heute sind sie allerdings mit der Schrotflinte unterwegs – einer Heckler & Koch –, wie Jim stolz erwähnt.

„Sie ist die Beste“, flüstert er und wischt über die mit Flugrost überzogene Basküle. Die Selbstladeflinte, Kaliber 12/89 Magnum, scheint nur im Frühjahr ein paar Tropfen Öl zu sehen. Das einzige gepflegte Stück ist der weit über die Mündung herausragende  Wechselchoke. „Extra Full Extended Turkey Choke“ steht darauf und macht deutlich, dass er speziell für die Truthahnjagd entwickelt wurde. Bis 60 Yards – also knapp 55 Meter
– soll Tom damit sicher fallen. „Tom, wer?“, frage ich die beiden. „Na Tom! Ein Gobbler“, flüstert Chris und ahmt ganz leise den schlackernden Ruf eines Truthahns nach. „Jüngere Hähne heißen Jakes“, fügt der 39-Jährige noch hinzu. Warum das so ist, können mir beide nicht erklären. „Das war schon immer so“, lautet die simple Antwort. Als die ersten Vögel im Morgengrauen zu singen beginnen, greift Jim in seine Jackentasche und holt ein Gerät heraus, das wie eine kleine Cola-Dose mit Einfüllstutzen aussieht. Der Truthahnjäger setzt den kleinen Zylinder an den Mund und lässt mehrfach den schaurigen Ruf einer Eule erklingen.

Ich bin verwirrt, denn von Lockjagd auf Waldkäuze war bisher nicht die Rede. Doch schon gobbelt es hinter uns im Eichenwald. Ich muss ziemlich dumm dreingeschaut haben, denn Chris klopft mir beruhigend auf die Schulter und grient wie ein Honigkuchenpferd. „Three big Toms“, flüstert der Truthahnjäger und deutet auf die Rückwand des Blinds. „Keine 100
Meter hinter uns“, schätzt Chris. Später erklärt er mir, dass man mit Hilfe des „Owl-Hooters“ den Standort der aufgebaumten Truthähne lokalisieren kann. Hören die scheuen Vögel den Ruf eines Nachtgreifs, Habichts oder den eines Kojoten, sind sie so aus dem
Häuschen, dass sie sofort empört antworten. Die amerikanischen Lockjäger nennen das „shock-gobbling“. Die „Boys“ müssen wirklich geschockt sein, denn noch Minuten nach dem Ruf ist ihr aufgeregtes Gobbeln zu hören. Für meine Begleiter muss das wie Musik
klingen, denn sie sitzen da und strahlen bis über beide Ohren.

Als sich die Toms wieder beruhigt haben, ahmt Jim mit diversen Mundlockern – so genannten Diaphragm Calls – behutsam eine Henne nach, um die müden Freier vom Schlafbaum zu locken. Für mich sehen die halbrunden Dinger alle gleich aus, doch Namen wie „Spur Collector“, „Kung Fu Chop“ und „Freak Nasty“ sowie die verschiedenen Einkerbungen der Membranen verraten, dass jeder eine andere Aufgabe besitzt. Als der wilde Senf vorm Schirm in der Sonne zu leuchten beginnt, sind endlich die harten Schwingenschläge der abstreichenden Vögel zu hören. Der Guide nimmt daraufhin seine Baseballkappe ab und wedelt mit ihr wild an der Zeltwand herum. „Gehört das noch zur Jagd, oder dreht er jetzt durch?“ frage ich mich, als sich der Profi zu mir herüberbeugt und
die Technik erklärt. Ich lerne dabei, dass Truthahnjäger so eine Henne imitieren, die ihren Schlafbaum verlässt. Vernehmen das die Hähne, werden sie schon bald nach der Geliebten suchen. Das Lockbild – bestehend aus zwei Hennen und einem Hahn – übernimmt dann den Rest. Soweit die Theorie, denn anders als erhofft, ziehen zuerst drei Hennen auf die Äsungsfläche; zudem viel zu weit entfernt. „Mist!“ zischt Jim und verzieht das Gesicht. Auch Chris weiß, dass unsere Chance, einen dicken Tom vor den Schirm zu locken, gerade drastisch gesunken ist. Denn eräugen die suchenden Hähne diese Hennen, wird sie keine Attrappe der Welt mehr ver zaubern können – zumindest nicht an diesem Tag.

Genauso kommt es. Drei richtig alte Toms mit langen Bärten und mächtigem Stoß ziehen aus dem Bestand, eräugen die schlanken Schönheiten und beginnen zu balzen. Fast zeitgleich stellen die dicken Jungs ihr metallisch glänzendes Rücken- und Brustgefieder auf, spreizen den Stoß zum Halbkreis und harfen mit den Schwingen über den Boden. Die
blau-rot-weißen Köpfe beginnen plötzlich förmlich zu leuchten. Ich bin völlig hin und weg, denn wenn ich ehrlich bin, waren Truthähne für mich bisher die hässlichsten Vögel der Welt. Eine Äußerung, die bei meinen amerikanischen Gastgebern für blankes Entsetzen sorgte und mir fast zwei Wochen „Guantánamo“ eingebracht hätte.

Ja, die Amerikaner lieben ihre „Turkeys“ – soviel ist sicher. Wer möchte, kann im Frühjahr 24 Stunden am Stück im Fernsehen Jagdfilme über die Frühjahrsjagd auf Truthähne anschauen. Auf dem Land scheinen Truthahnprofis wie Michael Waddell bekannter zu sein als Madonna, Michael Jackson und die Queen. In jeder Tankstelle – und mag sie noch so klein sein – gibt es Locker, Decoys, ja sogar Flinten und Schrotpatronen
zu kaufen. Cafes und Bistros werben mit „Truthahnjäger willkommen!“ Und noch vor der ersten Tasse dünnen Kaffees wird immer wieder gefragt, ob der Tom schon liegt, wie schwer er ist, wie lang Bart und Sporen sind. Selbst das Fast-Food-Unternehmen mit dem goldenen „M“ macht da keine Ausnahme! Bisher konnten wir diese Fragen leider nicht beantworten. Und auch heute scheint uns weder Manitu noch Diana holt zu sein. Denn wie befürchtet, eilen die starken Hähne den Hennen hinterher und sind schon bald nur noch kleine balzende Federkugeln im Senf. Jim lockt trotzdem sachte weiter, denn noch könnte ein Nachzügler im Bestand umherstreifen. Und tatsächlich, als er vorsichtig aus dem Schirm schaut, entdeckt er zwei Hähne, die sich vorsichtig dem Lockbild nähern. Im Blind wird es schlagartig ganz still, und Chris drückt mir die Flinte in die Hand. „Schieß, wenn
Du kannst!“, flüstert er und lächelt. Das haben sich die beiden ja schön ausgedacht, denn eigentlich wollte ich mir das Schauspiel entspannt aus der zweiten Reihe anschauen. Doch für Diskussionen ist jetzt keine Zeit. So schlage ich behutsam an und verfolge beide Hähne mit dem Korn. Die rasen wie kleine Raptoren von der rechten Seite heran und inspizieren eine der Attrappen. Dabei decken sie sich gegenseitig jedoch so geschickt, dass kein Schuss möglich ist. Irgendwann streckt einer der beiden jedoch seinen Kopf ein bisschen vor und liefert ein Ziel. Schon er eilen ihn die Schrote der 62 Gramm schweren Ladung (Nr. 5). Ein letztes Schwingenschlagen, dann ist er verendet. Sein Partner streicht daraufhin augenblicklich ab.

Chris und Jim jubeln und klopfen mir begeistert auf die Schulter. „Yes, man – your first turkey!“ Ich bin jedoch ganz still und starre beeindruckt auf den großen Vogel. Als ich endlich realisiert habe, dass ich tatsächlich meinen ersten Östlichen Truthahn – in den USA gibt es noch vier weitere Unterarten – erlegt habe, atme ich tief durch. Im engen Zelt hält uns jetzt nichts mehr. Jeder möchte Mr. Tom über das metallisch glänzende Gefieder
streichen, Sporen, Stoß und Bart berühren. „Was sagst Du nun?“, fragt mich Chris schließlich. „Gar nicht so übel unsere hässlichen Turkeys, was!“

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