GÄNSEJAGD
Im Herbst zieht es Scharen von nordischen Saat- und Blessgänsen nach Deutschland. Alexander Busch begleitete eine Lockjagd in Mecklenburg-Vorpommern.
Foto: Alexander Busch
Als ich um die Ecke biege, sehe ich bereits im Scheinwerferlicht meines Autos Peter vor dem Schilfgürtel warten. Nachdem ich den Motor ausgeschaltet habe, kann ich schon die Gänse vernehmen. Was für ein Konzert. Es klingt aus allen Richtungen. Überall müssen sie auf dem Wasser sitzen. Wir begrüßen uns kurz und lauschen den Klängen der arktischen Gäste. Es ist ein Naturschauspiel, das sich in seiner Einzigartigkeit kaum beschreiben lässt. Ich muss daran denken, wie still es hier im Sommer ist, wenn sich die Gänse in nordischen Gefilden zum Brüten aufhalten.
Der Anruf meines Jagdfreundes Peter vor zwei Tagen kam völlig überraschend. „Kannst du übermorgen kommen? Die Saat- und Blessgänse sind endlich da“, sagte er nur knapp. Bislang war es wie verhext. Die ersten Saatgänse waren bereits lange vor Beginn der Jagdzeit eingetroffen. Allerdings hatten sie nur relativ kurz Rast gemacht und waren sogleich weitergezogen. Kurze Zeit später kam bereits der erste Frost – erheblich früher als sonst. Die Gänse wussten das offensichtlich, denn normalerweise kommen weitere nordische Schnatterer nach.
In diesem Jahr war jedoch alles anders. Der 1. November war längst verstrichen, doch im Revier von Peter waren nach wie vor keine Gänse. Irgendwie hatte ich schon nicht mehr damit gerechnet, dass sich noch mal etwas tun würde, aber so ist es ja häufig auf der Jagd. „Übermorgen geht. Ich weiß zwar nicht, was in meinem Kalender steht, aber ich komme auf jeden Fall“, antwortete ich Peter. Die Jagd auf die arktischen Gänse ist zweifellos einer meiner Höhepunkte im Jahr. Da muss man einfach Prioritäten setzen. Nun musste schnell die nötige Ausrüstung eingepackt werden. Warme Bekleidung würde wichtig sein, daran hatte Peter Gemich extra noch mal erinnert, denn der Wetterdienst kündigte für die nächsten Tage strengen Frost an. Diese Meldung trübte meine Vorfreude gewaltig, da uns die Wetteränderung einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen konnte, denn die Witterung bestimmt das Zugverhalten der nordischen Gäste. „Hoffentlich sind die Gänse noch vor Ort und ziehen nicht weiter“, dachte ich.
Doch hier am Wasser zerstreuen sich alle Zweifel. Deutlich sind auf dem Schlafplatz die Rufe Tausender Bless- und Saatgänse zu hören. Die Vorfreude auf den morgigen Jagdtag lassen das Lächeln bei mir und auf dem Gesicht des Freundes nicht mehr verschwinden.
Lange vor Sonnenaufgang klingelt der Wecker. Meine Wachtelhündin springt von ihrem Platz auf, als hätte sie die ganze Nacht darauf gewartet, dass es endlich los geht. Wenige Minuten später sitzen wir bereits im Auto und fahren zu dem abgeernteten Mais-acker, den mir Peter gestern Abend bildreich beschrieben hat. Dass auf meinen Freund Verlass ist, was die Vorbereitung der Jagd betrifft, weiß ich aus der Vergangenheit. Er hat den ganzen gestrigen Morgen und Vormittag mit Beobachten zugebracht. Wir biegen in einen Feldweg ab und fahren nach wenigen Metern auf die Maisstoppeln.
Perfekt getarnt verharren die Gänsejäger in den Liegen. Foto: Alexander Busch
Von Weitem ist im Scheinwerferlicht bereits der Haufen mit Maisstängeln und -blättern zu sehen, den Peter im Dunkeln des Vortages an Ort und Stelle gebracht hat. Er markiert zum einen für uns den Standort unserer Schirme und dient zugleich als Tarnung für unsere Gänseliegen. Wir laden sie und 60 faltbare Neopren-Lockgänse (FUDs)aus. Peter prüft den Wind. „Schöner Mist!“, entfährt es ihm. „Der Wind hat gedreht. Wenn das mal nicht unsere Pläne durchkreuzt.“ Ich stehe auf und prüfe ebenfalls den Wind. Tatsächlich, er weht jetzt aus nördlicher Richtung. „Hoffentlich fliegen die Gänse jetzt nicht woanders hin“, denke ich. Nun müssen wir uns beeilen, denn die Planung von gestern muss umgestellt werden: Das Lockbild und dessen Ausrichtung muss den geänderten Windbedingungen angepasst werden. Ansonsten drehen die Gänse von hinten ein.
Zügig tarnen wir die Gänseliegen. Die FUD-Lockgänse stehen ebenfalls nach wenigen Minuten. Während Peter das Auto in Deckung fährt, widme ich mich dem Einrichten der Liegen. Gehörschützer, Locker, Waffen und Munition verstaue ich in den Schirmen. Meine Wachtelhündin hat bereits selbstständig unter der Rückenlehne Platz genommen, sie kennt das Ganze nur allzu gut. Als ich die erste Schachtel der 3-Millimeter-Schrotpatronen öffne, kommt Peter zurück. Wir machen es uns in den Liegen gemütlich und harren der Dinge, die da kommen. Es wird bereits hell. Gänse sind jedoch keine zu hören. Unserer Stimmung tut dies aber keinen Abbruch.
Wenn man so im Schirm liegt, hat man wunderbar Zeit, sich in Ruhe zu unterhalten. „Weißt du noch, wie wir uns mal nach dem Aufbauen des Lockbildes auf dem Acker festgefahren haben?“, fragt Peter. „Klar“, antworte ich und will den Satz zu Ende führen, da zucken wir beide zusammen. Ganz deutlich sind in der Ferne Gänse zu hören. Unser Gespräch ist sofort beendet.
Vorsichtig drehe ich mich, um eine bessere Übersicht zu haben. „Da hinten auf etwa 500 Meter streicht ein Flug“, melde ich. „Die halten genau Kurs.“ Sofort drehe ich mich zurück und tauche tief in meine Liege ab.
Auch Peter zieht in bewährter „Schildkrötenmanier“ den Kopf möglichst tief in die Gänseliege ein. „Wie viele sind es?“, zischt er mir zu. „Etwa 25“, antworte ich. Das „ajak ajak ajak“ kommt immer näher. Eindeutig können wir sie an den Lautäußerungen als Saatgänse ansprechen. Sehen können wir sie jedoch nach wie vor nicht, da sie hinter uns anstreichen. „Jetzt bloß nicht bewegen“, denke ich. Da – von links fliegen sie in unser Blickfeld. Die Entfernung beträgt maximal 70 Meter. Instruktionen muss ich Peter keine geben. Er weiß genau, was gleich zu tun ist.
Eine kurze Verschnaufpause nach dem ersten Anflug. Foto: Alexander Busch
Die Gänse streichen die erste Runde ums Lockbild. Ich antworte ihnen jetzt permanent mit dem Gänselocker. Die zweite Runde ist bereits deutlich niedriger. Es bleibt genügend Zeit zum Zählen. Es sind exakt 29 Saatgänse, die unser Lockbild umkreisen und jetzt frontal auf uns zufliegen. „Fertigmachen“, flüstere ich meinem Standnachbarn zu. Die Gänse sind auf circa 45 Meter frontal vor unserem Lockbild. Sie rudern gegen den rauen Wind an. Ich beginne mit dem Zählen „3, 2, 1 – hopp“, und es öffnen sich unsere Liegen. Die Saatgänse erkennen den Schwindel und versuchen, steil nach oben zu entkommen. Sie sind knapp 20 Meter entfernt, als ich das erste Mal den Abzug meiner Benelli drücke.
Die erste Gans fällt im Schuss. Innerhalb weniger Sekunden liegen mit sechs Schuss fünf Saatgänse. „Was für ein Anflug“, entfährt es Peter. Wir kommen beide aus dem Strahlen nicht mehr heraus. Keine ist krank entkommen, und wir haben reichlich Beute gemacht. Wachtelhündin „Quennie“ hat nun zu tun. Ich unterstütze sie beim Einsammeln der erlegten Beute, die wir hinter unseren Schirmen verblenden.
Wir schaffen es gerade noch in unsere Liegen, als sich bereits die nächsten Gänse am Himmel ankündigen. Diesmal sind es Blessgänse, die sich aus einer anderen Richtung nähern. Wir greifen beide nach unseren Blessganslockern und antworten dem Flug, der genau Kurs auf unser Lockbild hält. Diesmal geht alles ganz schnell. Die Gänse umkreisen das Lockbild nicht, sondern steuern es direkt an. Vielleicht wollen sie bei dem starken Wind nicht unnötig Energie verschwenden. Auf mein Kommando öffnen sich wieder unsere Liegen, und es gelingt uns, aus diesem Flug vier Blessgänse zu erlegen.
Drei weitere Anflüge bringen uns zehn weitere Gänse, sodass wir am Ende 19 Bless- und Saatgänse zur Strecke legen können. Ich bin absolut zufrieden und genieße die Wintersonne, die uns ins Gesicht scheint und sofort spürbar die Luft erwärmt. In solchen Momenten zähle ich mich zu den glücklichsten Menschen auf Erden.