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In den Karen der Könige

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Die Berge Asiens, weitab jeglicher Zivilisation, sind die Heimat der stärksten Steinböcke der Welt. Heiko Hornung hat zusammen mit einem Kasachen und einem Russen die Pferde gesattelt und diesem beeindruckenden Wild im Dschungarischen Alatau nachgestellt.

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Fotos: Heiko Hornung

 


Da thront er, ruht in sich. Das mächtige gebogene Gehörn krönt das kantige Haupt. Der lange Bart und das ernste Gesicht geben ihm den Ausdruck eines wahren Königs. Zwischen den Felsen döst er. Zwei Adjutanten mit ebenfalls beeindruckenden Stirnwaffen sind bei ihm. Er ahnt nicht, dass in einem guten Kilometer Enfernung seine Verfolger im Gestein lauern, die Ferngläser auf ihn gerichtet haben und einen Plan entwerfen, wie sie ihm inmitten seines Reiches seine Krone entreißen können.
Vor drei Tagen verließen drei Reiter ihr Berglager in Richtung Südosten. Geführt werden sie von Isahan, einem Kasachen mit wettergegerbtem Gesicht, der vielleicht Mitte 50 ist. Neben seiner dunkelblauen Strickmütze dürften die schlanken weißen Damenzigaretten, die er stets paffend im Mundwinkel trägt, sein Markenzeichen sein. Er gilt als der erfahrenste unter den Jagdführern im Gebiet Tochty. Seine Leidenschaft gehört den Pferden, die er im Jagdcamp betreut. Wenn er seinen Schimmel durch die Gebirgspässe steuert, wirkt er darauf wie angewachsen und erinnert mich an das, was der Grieche Herodot über die Steppenreiter des Ostens schrieb. Er bewunderte die Freiheit, die diesem Volk innewohnen müsse, das alles, was es zum Leben benötige, auf dem Rücken eines Pferdes finde.
Aufbruch im Zeltlager auf über 2.000 Metern Meereshöhe.
Vor drei Tagen verließen drei Reiter ihr Berglager in Richtung Südosten. Geführt werden sie von Isahan, einem Kasachen mit wettergegerbtem Gesicht, der vielleicht Mitte 50 ist. Neben seiner dunkelblauen Strickmütze dürften die schlanken weißen Damenzigaretten, die er stets paffend im Mundwinkel trägt, sein Markenzeichen sein. Er gilt als der erfahrenste unter den Jagdführern im Gebiet Tochty. Seine Leidenschaft gehört den Pferden, die er im Jagdcamp betreut. Wenn er seinen Schimmel durch die Gebirgspässe steuert, wirkt er darauf wie angewachsen und erinnert mich an das, was der Grieche Herodot über die Steppenreiter des Ostens schrieb. Er bewunderte die Freiheit, die diesem Volk innewohnen müsse, das alles, was es zum Leben benötige, auf dem Rücken eines Pferdes finde.
Neben dem asiatischen Jagdführer begleitet den Trupp Viktor. Ein hühnenhafter Russe mit klaren blauen Augen in einem freundlich blickenden Bubengesicht und Füßen jenseits der Schuhgröße 50. Er ist als Forstingenieur hier tätig, schätzt Bestände und ist maßgeblich daran beteiligt, wie viele Jagdlizenzen für Marale und Steinböcke vergeben werden. Für letztere gibt es ganze 40 im Jahr. Im Lager haben die kasachischen Jagdführer deshalb ein eher distanziertes Verhältnis zu ihm.

 


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Jagdführer Isahan blickt am Morgen in eines der unzähligen Kare des Dschungarischen Alataus.
Der dritte Reiter mit Waffe bin ich. Zwei Tage brauchte ich, um durch die kasachische Steppe östlich der Hauptstadt Almaty in den Dschungarischen Alatau zu kommen. Stunden auf schnurgeraden staubigen Straßen durch die ockerfarbene, schier endlose Ebene, vorbei an trostlosen Orten, immer gen Osten, schaukelte der Geländewagen. Im Morgengrauen des ersten Tages tauchten die Ausläufer des Alataus auf, deren Hänge ebenso strauch- und baumlos wie die Steppe mit braunrotem Samt bezogen erscheinen. Aus den schmutzigen Dörfern trieben die Kasachen auf klapprigen Pferdchen ihre noch schmutzigeren Schafe und Ziegen auf die Grasweide. Begleitet von grausigen Hunden, deren zerfetzte Kadaver von Zeit zu Zeit von hunderten Krähen am Straßenrand bewacht wurden. Noch verlassener wirkten nur die zahllosen Grabstätten entlang der Straße, die keine Abzweigung kennt – wohin auch? Auf Anhöhen haben die Muslime in diesen Nekropolen ihre Toten bestattet. Die rostigen Halbmonde auf den Kuppelgräbern und der pfeifende kalte Steppenwind verstärken das Gefühl von Verlassenheit und vom Tod als absolutem Ende. Über ein Zwischenlager und ein Bergcamp ging es mit Pferden in das 75 000 Hektar große Jagdgebiet, das sich vom Rande des Alakul-Sees bis hin zur chinesischen Grenze erstreckt.
In drei großen Karen hatten wir seitdem erfolglos versucht, an einen guten Sibirischen Steinbock zu kommen. Einige starke über 1,30 Meter seien in diesem Jahr in dem Gebiet schon gestreckt worden. Mir war das egal, reif sollte er sein. Am ersten Jagdtag hatten wir ein Steinbockrudel ausgemacht, in dessen Mitte ein mächtiger Bock saß. Das Anschleichen vermasselte ich dusselig, weil ich unvorsichtig den Kopf über die deckende Hangkante streckte, um mal zu schauen. Ein einzelner Wächter in gut 100 Metern Entfernung hatte dies sofort mitbekommen. Geistergleich war der ganze Hofstaat verschwunden.

 


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Ulare vereiteln die Pirsch trotz bester Tarnung im Fels.
Nach einer kalten Nacht in einem zwei mal zwei Meter großen Biwak auf 2.500 Metern Meereshöhe, in der der Bergwind heftig in der Zeltplane knatterte, kletterten wir in den frühen Morgenstunden in ein Nachbarkar hinunter. Noch am Abend zuvor hatten wir dort einige vielversprechende Böcke ausgemacht und versuchten, auf 300 Meter Schussdistanz heranzukommen. Doch diesmal vereitelten die „Ulare“ die erfolgreiche Pirsch. Der Warnruf dieser großen asiatischen Steinhuhnart machte das Scharwild aufmerksam. Keine Viertelstunde später zog das gesamte Steinwild, vielleicht 50 Stück, in langen Kolonnen aus dem Kessel. Nachsteigen war sinnlos.
Bis zum Nachmittag brauchten wir, um wieder ins Gipfelbiwak zurückzukraxeln. Während man in Kirgistan zumeist erst Gipfel oder Grate übersteigen muss, um sich dem scheuen Wild von oben zu nähern, ist es in Kasachstan oft möglich, mit dem Pferd über die grasbewachsenen Bergkuppen zu reiten und sich von oben an das Wild in den steilen Abbrüchen anzupirschen. Schwindelfrei steigen muss der Bergjäger so oder so.

 


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Herodot bewunderte die Freiheit der Steppenreiter, die alles, was sie zum Leben benötigen auf dem Rücken eines Pferdes finden.
Nach einem mehrstündigen Ritt über einen 2.500 bis 3.000 Meter hohen Pass und einem höllischen Abstieg samt Pferd, hatten wir das Steinwild des Vormittags wieder eingeholt. Auf einem Plateau nächtigten wir. In der mondhellen Nacht, in der nur der Wind von den Weiten und Bergen Asiens erzählte, glänzten im Osten fast unwirklich die schneebedeckten Gipfel Chinas herüber. Am Morgen standen Federwolken über den Kämmen. Das Wetter würde umschlagen. Zwar gelang es, die Steinböcke des Vortages in Anblick zu bekommen. Doch als der König dieses Kares sich unter uns durch ein Geröllfeld Richtung Talausgang bewegte, betrug die Schussentfernung immer noch 385 Meter. Isahan schätzt seine Krone auf über 140 Zentimeter. Es mag Schützen geben, die von der steilen Klippe hinab geschossen hätten, ich tat es nicht.
Uns fiel auf, dass das Steinwild äsend in tiefere Lagen zog und so auf den sich ankündigenden Wetterumschwung reagierte. Also verlegten auch wir unser Biwak in die Waldzone, in die deutlich der Oktober gemalt war. Der Alatau hatte über seine Matten den braunen Herbstmantel gezogen. In die Borte des Brauns leuchtete das Sonnengelb der Pappeln und Birken, das Rot der Vogelbeeren, die ebenso orangerot glühenden Heidelbeerbüsche sowie das Dunkelgrün der dichtbeasteten schlanken Bergfichten.

 


Nachdem wir die Pferde und Viktor im Lager zurückgelassen hatten, bezogen wir Posten auf einer quer vorgelagerten Felsenrippe, um dort auf das tiefer ziehende Wild aus zwei Tälern zu warten.
Jetzt steht im Gegenhang ein alter Steinbock. Hoch hat er nicht auf, zumal die Spitzen wohl abgebrochen sind, aber die bullige Statur verrät Reife. „Nicht gut“, sagt Isahan. „Wie gut?“, frage ich. „Hundert Prozent ein Meter“, antwortet er und grinst, wie er das immer tut, wenn ich versuche zu erfahren, was wir da eigentlich vor uns haben. Aber inzwischen setzt Regen ein, und wer weiß, ob wir eine bessere Chance bekommen. Beim Angehen haben wir in einem Graben bereits einiges Scharwild hochgemacht, das mit viel Getöse und Gepfeife über einen Felsriegel in unserem Rücken verschwand. Der Graben soll uns decken, um näher an den Bock zu kommen. Verprellen können wir hier kein Wild mehr, meinen wir.
Kaum haben wir den Felsgrat verlassen, um gedeckt am Grabenrand zu schleichen, poltert ein junger Steinbock aus der Senke und fliegt den Riegel hinauf. Doch weniger er, als sein Gefährte lassen uns wenig später den Atem stocken. In kraftvollen, wiegenden Sprüngen folgt ihm ein Gigant. Isahan packt mich am Ärmel: „Guter Bock!“ Doch stehen wir so ungünstig, dass ich mich weder legen noch knien oder setzen kann. Durch die Entfernungsmessung weiß ich, dass das Wild im Minimum 150 Meter weit weg ist. Ich fasse die Büchse fester, folge mit dem Absehen dem Davonflüchtenden, der schnell an Höhe gewinnt.
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Der König der Kare liegt. Ein reifer Bock mit mächtigem Gehörn.

 


Als er die Hangkante erreicht hat, verhofft er – sichert hinab. Fast scheint es als wolle sein mürrisches Gesicht sagen: „Folgt mir doch, wenn ihr könnt.“ Das Absehen steht erstaunlich ruhig. „Schieß“, brüllt eine innere Stimme. Die peitschende Kugel scheint keine Wirkung zu haben. Nahezu ungerührt wendet der Bock das königliche Haupt. Nach nur einem Schritt wankt er leicht, um im nächsten Moment ohne einen Laut, wie in Zeitlupe von der Kante in die Tiefe zu stürzen. Krachend schlägt er ins Pappelgesträuch.
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Es ist ein reifer Bock. Seine Wehr misst über 1,30 Meter. Ich freue mich wie ein Kind. Stunden später schmurgelt über dem Gaskocher ein kräftiges Gulasch. Aber der Regen und die verhangenen Berge lassen Isahan zum Aufbruch drängen. Er fürchtet, dass wir Einschneien und nicht mehr über den Pass kommen. Mit Anbruch der Dunkelheit erreichen wir den Übergang, der in einem brausenden Schneegestöber verschwunden scheint. Wir treiben die Pferde an, ohne zu wissen wohin. „Sie kennen Weg“, ruft mir der Kasache durch die heulenden Böhen zu.
Wenig später steigen wir ab. Von meinem flatternden Regenponcho erschreckt, strauchelt mein Pferd über einem gähnenden, dunklen Abgrund. Fast hätte es uns beide in die Flockenhölle hinabgerissen. Mit den Pferden am Zügel queren wir steile Matten. Der Wind peitscht Schnee in die Augen. Selten habe ich das warme Licht in einem Zelteingang so wohlig erschaut, wie in dieser Nacht.

 

 

 

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