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Erst Zähler, dann Jäger

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NIEDERWILD ERFASSEN

Welche praxistauglichen Möglichkeiten der Niederwildjäger hat, sich einen Eindruck vom Zustand der Besätze zu verschaffen, erläutert Dr. Thomas Gehle.

„Selbstverständlich kann es sich bei einer Wildart, die so klein ist, dass man die einzelnen Individuen schwer voneinander unterscheidet, (…) nur um eine ungefähre Schätzung des Wildstandes handeln, die sich (…) durch Beobachtung und Abspüren gewinnen lässt. Von dem Ergebnis ist derart Gebrauch zu machen, dass man sagt, es ist ein Drittel der Zahl von Hasen übrig zu lassen, die man am nächsten Tage zu erlegen rechnet.“ Diese Zeilen schrieb der Niederwildkenner Carl Emil Diezel 1849 in seinem Hauptwerk über die Hasenjagd. Diezel hatte erkannt, dass es nicht gut ist, Hasen zu treiben, ohne den Herbstbesatz zu kennen.

Hase

Erst 120 Jahre später begann man, Hasen mithilfe von Scheinwerfern zu zählen. Für die Jagdplanung reicht es aus, ein bis zwei Wochen vorher die Treiben abzuleuchten. Die Herbstbesätze entwickeln sich nämlich unvorhersehbar, obwohl sie naturgemäß von der Größe des Frühjahrsbesatzes abhängen. Grund dafür ist die Jahr für Jahr enorm wechselnde Junghasen­sterblichkeit.

Abzuleuchten sind Feldflächen von mindestens 200 Hektar (ha). Dies entspricht einer Wegstrecke von etwa zehn bis 20 Kilometern. Ist die taxierte Fläche kleiner, wird der Besatz meist nicht ausreichend erfasst. Man fährt am besten zu zweit. Der Beifahrer hält im rechten Winkel zur Fahrtrichtung den Scheinwerfer auf die Schläge. Taxiert werden nur Flächen, die vollständig einsehbar sind und die keinen oder niedrigen Bewuchs aufweisen. Abende mit leichter Bewölkung eignen sich sehr gut. Leichter Regen behindert das Ableuchten kaum. Bei Starkregen und Sturm, ebenso bei Nebel sollte man jedoch zu Hause bleiben. Das Erfassen dauert bis zu drei Stunden. Begonnen wird frühestens eine Stunde nach Sonnenuntergang. Natürlich werden Hasen übersehen, je nach Gelände bis zu einem Drittel. Doch mit einem solchen Ergebnis ist man immer auf der sicheren Seite. Dies wissen wir aus vergleichenden Taxationen mit Thermokameras. Mithilfe eines Schusszählers kann man sich die Arbeit erleichtern. Bei jedem gesehenen Hasen wird gedrückt und zudem mitgezählt. Sollen die Ergebnisse über die Jahre vergleichbar werden, sind drei Punkte zu beachten: Es zählt jedes Jahr derselbe Jäger, es wird immer derselbe Scheinwerfer benutzt und es werden immer dieselben Wege mit demselben Fahrzeug in identischer Reihenfolge abgefahren.

Beutegreifer

Kartieren Sie die Wurfbaue im Revier. So lässt sich die Zahl der zu erlegenden Füchse errechnen.

Füchse und selbstverständlich alle anderen Wildarten werden bei den Scheinwerfertaxationen gleich mitnotiert, um einen Überblick zu bekommen, was nach Einbruch der Dunkelheit im Revier los ist. Die Aktivität wandernder Jungfüchse kann auf diese Weise gut erfasst werden. Wichtiger für die Hege ist jedoch die Frage, wie viele Fähen im Frühjahr Gehecke großziehen werden. Der bekannte Wildbiologe Michael Stubbe hat dazu schon 1965 eine praxisnahe Bau­ und Geheckkartierung vorgeschlagen. Danach ist pro Wurfbau mit 2,5 Altfüchsen zu rechnen. Auf eine Fähe kommen 1,5 Rüden. Pro Wurfbau wachsen im europäischen Mittel rund viereinhalb Junge zu. Von den nun insgesamt sieben Füchsen sterben aber fast Zweidrittel pro Jahr auch ohne Bejagung. Es bleiben rechnerisch also etwa vier Exemplare übrig, von denen zwei erlegt werden müssen, soll der Besatz nicht zunehmen. Wegen der ständigen Zuwanderung werden meist deutlich mehr Füchse erlegt. Dies zeigt eindrucksvoll ein Beispiel aus unserer Arbeit in der Forschungsstelle für Jagdkunde: Auf knapp 11000 ha Offenland deuteten alle gezählten Rotröcke auf eine mittlere Dichte von „nur“ einem halben Stück pro 100 ha hin. Erlegt wurde aber ohne Mühe das Fünffache. Immerhin, über die drei Beobachtungsjahre (2004 bis 2006) stieg die Dichte Reinekes nicht an. Mehr als einen Fuchs sollte man sich auf 100 ha Offenland nicht leisten. Dokumentierte Maximaldichten wurden bisher in der Stadt erreicht und lagen bei 30 Füchsen. Daraufhin kam die Räude und die Besätze brachen zusammen.

Wer den Bau weiß, hat den Dachs, sagt eine alte Waidmannsweisheit. Regelmäßige Kontrollen und abendlicher Ansitz an den baunahen Pässen geben Auskunft über die Anzahl der Dachse an einem Bausystem. Bekannt geworden sind in Mitteleuropa Höchstdichten von bis zu 20 Dachsen pro 100 ha. Dann leben sie in Clans mit bis zu zwölf Stück, die sich gegenseitig markieren, untereinander paaren, Schlafhierarchien bilden und sich so von anderen Clans abgrenzen. Das Auftreten von Hermelin, Iltis und Steinmarder hingegen lässt sich in der Regel gar nicht abschätzen. Warum? Weil es für sie keine Zählmethode gibt und die Fangjagd nur noch in den gut gehegten Revieren so intensiv ausgeübt wird, dass man wenigstens über den Fangerfolg auf Zu­ oder Abnahmen schließen könnte. Hermelinbesätze zum Beispiel sind nicht stabil, sondern sie variieren zyklisch um mehr als das Dreißigfache bis hin zu einem Wiesel pro Hektar. Frühjahrsbesätze des Steinmarders sollen in Deutschland etwa zwischen zwei und 17 Mardern pro 100 ha Lebensraum wechseln.

Wildkaninchen

Ähnliche Probleme ergeben sich für Kaninchen. Zwar bekommen wir auch hier beim Aufsuchen von Bausystemen und Setzröhren grobe Hinweise. Kaninchen leben ja in Sippen. Erprobt wurden in der Jagdkunde verschiedenste Methoden, vom Zählen am Bau, auf Transekten bis hin zum Auszählen von Latrinen und Losungskugeln. Doch sind die Fehlerquellen so enorm, dass für Reviere, in denen das Kaninchen wieder häufig ist, nur gelten kann, so viele zu erbeuten, dass Fraß­ und Kratzschäden tolerabel bleiben. Denn je nach Auftreten von Myxomatose oder Chinaseuche (RHD), oder beiden zusammen, bestimmt sich der kleinräumige Wechsel von hoher und niedriger Dichte oder gar dem plötzlichen Verschwinden ganzer Kolonien.

Rebhuhn

So wie sich beim Haarwild der Hase am Genauesten erfassen lässt, so gilt dies unter den Federwildarten für das Rebhuhn. Sobald die Hennen zur Brut schreiten, sind die verpaarten Hähne recht ortstreu. Mit dem Auflösen der Ketten rufen sie während der Morgen­ und Abenddämmerung bis Mitte Mai ihr unverwechselbares „kirreck“. Wer im April systematisch alle Revierteile verhört, kennt den Frühjahrsbesatz. Natürlich rufen auch unverpaarte Hähne oder Hennen. Doch kartiert man die Rufe und vergleicht sie mit Orten bestätigter Ketten, lässt sich ein detailliertes Bild über die Besatzentwicklung zeichnen.

Fasan

Im Winter versammeln sich Fasane an den Schütten. Mithilfe von dort platzierten Wildkameras lassen sich die Besatzgrößen taxieren.

Für den Fasan gibt das Verhören dagegen nur einen groben Eindruck, denn wie viele Hennen kommen auf einen Hahn? Bei einem Geschlechterverhältnis von eins zu fünf leben im Frühjahr mit 100 Hennen nur 20 Hähne. All diejenigen, die jedoch dem Fasan vor allem während der größten Futternot im Frühjahr helfen, haben die Möglichkeit, an Schütten und Automaten zu zählen – oder zählen zu lassen: Wildkameras sind mittlerweile zu moderaten Preisen erhältlich. Klug eingesetzt und ausgewertet, erhält man so störungsarm wertvolle Bilder, nicht nur vom Stammbesatz. Wer bis in die Aufzuchtzeit hinein füttert, bekommt eine Vorstellung über den Bruterfolg und kann danach die Jagd planen.

Wildgänse

Zunehmende Bedeutung gewinnen die Wildgänse, vor allem in Nordwestdeutschland. Die Jagdstrecken steigen exponentiell. Häufigster Sommervogel ist die Graugans. Da die Besätze aus Brutpaaren und Nichtbrütern bestehen, lassen erst revierübergreifende Synchronzählungen Einschätzungen zu. Denn während die Paare vom Beginn der Brut bis zum Flüggewerden der Gössel vor Ort bleiben müssen, ziehen Nichtbrütertrupps zur Handschwingenmauser im Juni vielfach auf weit entfernte und deswegen oft unbekannte Gewässer. In Nordrhein­ Westfalen beispielsweise machte der Nichtbrüteranteil der Kanadagans im Winter 2006/07 die Hälfte des Besatzes aus. Diese Einschätzung nahmen die Beringer Susanne Homma und Olaf Geiter für die Forschungsstelle vor. Verglichen werden deshalb am besten Frühjahrs und Sommerzählung. Man zählt nach dem Abreisen der nordischen Überwinterer im April und im Juli vor der Ernte. Dann sind die Familien noch gut erkennbar und man kann auf den Äsungsplätzen mit der Bejagung beginnen. Nilgänse sind kaum an Gewässer gebunden, ihnen reicht eine Pfütze. Neben den tagsüber äsenden Pärchen lassen sich Ansammlungen von bis zu mehreren Hundert Gänsen aus Trupps unterschiedlicher Größe im Sommer auf Mausergewässern entdecken. Im Herbst und Winter haben Wintersaaten und Silagehaufen hohe Attraktivität. Solche Gänsegruppen werden angepirscht, fotografiert und dann zu Hause in Ruhe ausgezählt.

Schnepfe

Reizvoll und ergreifend ist das Bestätigen der Waldschnepfe. Wer das „Puitzen“ und „Quorren“ kurz vor dem Einbruch der Dunkelheit je vernommen hat, wird es nicht mehr vergessen. Zwar gibt der Schnepfenstrich lediglich die Balzaktivität an einzelnen Abenden wieder. Die Hähne besitzen kleine Territorien, die in der Balz morgens und abends auf festen Routen jeweils drei bis vier Mal überflogen werden (Flughöhe: bis 20 Meter, Dauer: bis 15 Minuten). Die Flugbalz ist das Vorspiel für die Bodenbalz und dient sowohl dem Anlocken der Weibchen als auch dem Fernhalten von Nebenbuhlern. Doch wer im Mai und Juni die Balz verpasst, wird im Jahresverlauf nur zufällig Zeuge einer abstreichenden Schnepfe werden.

So können wir uns den sehnlichen Wunsch, möglichst genau zu wissen, welches Wild wann und wo im Revier ist, nur dann erfüllen, wenn wir uns die Zeit nehmen, uns mit dem Wild so lange zu beschäftigen, dass wir das Gefühl haben, zu spüren, was es gerade macht. Und das ist ein wahrhaft schönes Gefühl. Selbst, wenn wir uns mal irren!

Die Besätze von Arten, wie Wildkaninchen, Steinmarder und Hermelin, ändern sich oft binnen kurzer Zeit erheblich. Eine Aussage über die Höhe ist deshalb kaum möglich.

Ich habe einen kleinen, dreieckigen Wildknochen gefunden. Aber woher stammt er?

Es handelt sich um eine Kniescheibe. Diese gibt es bei vielen Wirbeltieren und auch bei den meisten Säugetieren. Da die Hauptlast des Körpers bei vierfüßigen Wirbeltieren auf den Hinterbeinen ruht, sind nur dort Kniegelenke und Kniescheiben. Das Kniegelenk verbindet Ober- und Unterschenkel miteinander. Für ein Beugen des Kniegelenks ist die hintere und für das Strecken die vordere Oberschenkelmuskulatur verantwortlich, während die innere Oberschenkelmuskulatur (Adduktoren) den Oberschenkel zum Körper heranzieht. Der vierköpfige Oberschenkelmuskel ist Hauptstrecker des Kniegelenks. In seiner Sehne entsteht ein kleiner dreieckiger Knochen, die Kniescheibe. Um das gebeugte Knie zu strecken, bedarf es relativ großer Kraft. Die Kniescheibe vergrößert die Distanz zum Gelenk. Dadurch wird der Hebelarm bei der Streckung länger, wodurch der vordere Oberschenkelmuskel weniger Kraft aufwenden muss, um das Knie zu strecken. Diese Kraftersparnis ist gerade bei Fluchttieren besonders wichtig. Die Oberschenkelmuskulatur ist bei jenen Wildarten, wie zum Beispiel beim Damwild, sehr kräftig ausgebildet. Das sind übrigens die Muskeln, die wir als Keule gerne in der Küche verarbeiten.

Rechte Kniescheibe eines Damtieres
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