Auf die Frontscheibe seines Wagens gestützt, glast Paul Weiß die Schläge mit dem Spektiv ab. Nur einzelne Baumgruppen und wenige Hecken verstellen seinen Blick. Das östlich von Wien gelegene Marchfeld, in dem das Lasseer Jagdgebiet liegt, gilt als Gemüseacker der österreichischen Hauptstadt und als Kornkammer der Alpenrepublik. Entsprechend intensiv wird in der ausgeräumten Ebene Landwirtschaft betrieben. Der Morgenansitz hatte nicht den erwarteten Erfolg gebracht. Paul dreht noch eine Runde durchs Revier, bevor es zum Frühstück nach Hause geht. Plötzlich kommt ihm ein Stück Rehwild in einem Getreideschlag in Anblick. „Ein junger Gabler. Nichts zum Schießen“, stellt der Waidmann fest und setzt seine Erkundungstour fort. Die Morgensonne gewinnt an Kraft und lockt immer mehr Wild aus der Deckung, das die wärmenden Strahlen nach der kühlen Mainacht genießt. Am Wegesrand und an den Schlaggrenzen äsen Dutzende Hasen. Immer wieder wechseln Fasanen über den Sandweg. Wenn Paul in einen Feldweg einbiegt, räumt Meister Lampe die Fahrspur ohne Eile, um sich wieder dem Äsen zu widmen, sobald der Geländewagen vorbeigefahren ist. „Wenn das Wetter mitspielt, wird heuer ein gutes Hasenjahr. In solchen Jahren schießen wir bis zu 1 000 Stück“, sagt der Jäger, der als Landwirt den Familienbetrieb weiterführt. Der Besatz scheint paradiesisch zu sein. In jeder Ecke des Reviers kommt Wild in Anblick. Von Zeit zu Zeit begrenzen junge Hecken die Schläge, und einige Blühstreifen durchziehen die ansonsten recht monotone Agrarlandschaft. „Immer mehr Bauern steigen bei uns auf ökologischen Landbau um. Die wollen ihre Flächen von den konventionell bewirtschafteten Schlägen abgrenzen, und da kommen wir Jäger ins Spiel“, erläutert Paul. Um solche Flächen zu trennen, pflanzen die Lasseer Waidgenossen Hecken oder legen Brachestreifen an. Ungefähr zehn Kilomter lang ziehen sich derzeit Hecken durchs Revier. Die Lasseer bemühen sich, dem Wild weitere Deckungsmöglichkeiten zu schaffen. Zugute kommt den engagierten Hegern dabei das „Österreichische Programm zur Förderung einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft“, kurz ÖPUL genannt. Die teilnehmenden Landwirte verpflichten sich, mindestens zwei Prozent ihrer Flächen als Biodiversitätsflächen auszuweisen und erhalten im Gegenzug Ausgleichszahlungen. „Da braucht es bei den Bauern ein bisschen Überzeugungsarbeit“, sagt Paul, „aber die meisten sehen schnell ein, dass wir was fürs heimische Wild tun müssen.“
Der junge Gabler sucht sein Heil in der Flucht. Dem Rehwild kommen die Biotopverbesserungen ebenso zugute, wie dem übrigen Niederwild
Die häufig an Hecken oder Gewässer grenzenden Brachestreifen werden von den Lasseer Jägern gepflegt. Dazu gehört das Einsäen von Wildäsungsmischungen.
Mit Wildäsungsmischungen aus verschiedenen Kleesorten, Buchweizen, Sojabohnen und weiteren Leckereien bestellen die Jäger aus Lassee die landwirtschaftlich nicht genutzten Flächen. Für die Dauer des Förderprogramms pflegen sie diese Wildäcker auch. „Soja wird besonders gern von säugenden Häsinnen aufgenommen. Die Kleinen bekommen so gleich eine gute Portion Eiweiß mit der Muttermilch“, verweist Paul auf die Wichtigkeit von guter Äsung vor allem während der Aufzuchtzeit des Niederwildes.An einem Getreideschlag steigt Paul aus und teilt die grünen Halme mit den Händen: „Die Untersaat ist gut auf-gegangen. Davon profitiert das Wild. Auch nach der Ernte.“ Getreideflächen mit Untersaaten werden nach dem Dreschen nicht umgebrochen und bieten damit in der größten Notzeit des Niederwildes Äsungs- und Deckungsmöglichkeiten. Paul, der vor einigen Jahren auch auf ökologischen Landbau umgestiegen ist, sät auf seinen Kulturen möglichst immer Kleeuntersaaten (Weiß-, Rot-, Inkarnatklee und Luzerne) ein. Die Kleeblüten ziehen Insekten an. Für Wachtel, Rebhuhn und Fasan ist dadurch der Tisch, besonders im Zeitraum der Küken-aufzucht, reich gedeckt.
Neben der Einrichtung von Brachen und dem Anpflanzen von Hecken wurden auch Feuchtbiotope geschaffen, die dem Wasserwild zugute kommen.
Als Untersaaten werden verschiedene Kleesorten, wie hier Luzerne, eingesät. Sie bieten dem Niederwild vor allem nach der Ernte Äsung und Deckung
Während Paul den Getreideschlag inspiziert, hält ein zweiter Geländewagen auf dem Weg. „Na, hast a nix g‘streckt?“, erkundigt sich der Fahrer. Es ist Georg Zettel, der Jagdleiter des Reviers. Der pas- sionierte Jäger, der 2005 Staatsmeister im Trapschießen wurde, hatte sich an diesem Morgen auch auf den Bockansitz begeben und musste ebenfalls als „Schneider“ abbaumen. „Aber hast schon g‘hört? Der Aichinger Max hat gestern auf d‘Nacht nen Knöpfler g‘schoss‘n.“ „Na, da gibts ja heute Abend was zu feiern“, antwortet Paul, „Hast du schon die Gelege kontrolliert?“ „Bin g‘rad dabei“, sagt Georg und zieht eine Liste aus seinem Jagdrucksack. Um die Raubwilddichte im Revier bestimmen zu können, nutzen die Lasseer Jäger einen vom Landesjagdverband Niederösterreich empfohlenen „Prädatoren-Schnelltest“. Dafür werden im Frühjahr zweimal an verschiedenen Punkten des Reviers
Paul Weiß ist regelmäßig im Revier unterwegs, um über die Besätze im Bilde zu sein und den Erfolg der Hegemaßnahmen zu überprüfen.
Hühnereier auf einer Länge von 200 Metern ausgelegt: alle 20 Meter ein „Nest“ und drei Eier pro „Gelege“. Jährlich werden diese „Teststrecken“ an denselben Stellen eingerichtet und an fünf aufeinanderfolgenden Tagen kontrolliert. Die Beobachtungen werden in einer Liste notiert.
Um Raben- und Greifvögel effektiv bejagen zu können, setzt man in Lassee auch auf die Hüttenjagd. Dafür hält sich Jagdleiter Georg Zettel einen Auf.
Selbst die scheue Großtrappe fühlt sich im Lasseer Revier wohl und brütet in den von der Jägerschaft angelegten Brachestreifen
Die wärmenden Strahlen der Sonne locken das Wild aus der Deckung. In Lassee ist ein solcher Anblick Normalität.
Der Erleger lässt sich nicht lumpen und kredenzt eine zünftige Jause. Verführerisch duftet der Teller mit den verschiedenen Sorten Aufschnitt. „Das ist alles aus Wildbret hergestellt. Wir legen großen Wert darauf, dass die Strecke vernünftig verwertet wird. Bei uns geht kein Stück an den Wildhändler. Wir vermarkten selbst“, sagt Paul nicht ohne Stolz. Durch die Einnahmen aus dem Wildbretverkauf wird ein Großteil der Hegemaßnahmen finanziert. Besonders die Hasensalami findet bei den Kunden reißenden Absatz. Neben dem exzellenten Geschmack liegt das wohl auch daran, dass Paul beim Verkauf gern auf die libidobeflügelnde Wirkung hinweist. Bei regelmäßigem Verzehr überträgt sich nämlich die allseits bekannte Fortpflanzungsfreude von Meister Lampe – so wollen es zumindest die Selbstversuche der niederösterreichischen Jäger gezeigt haben. „Wenn ich das beim Verkauf mit einem Augenzwinkern erwähne”, sagt Paul mit einem schelmischen Lächeln, „bekommen viele Kundinnen ein Leuchten in den Augen und kaufen gleich noch eine Wurst.”
Gemeinschaft ist den Lasseern wichtig. Auch wenn „nur“ ein Knopfbock gestreckt wurde, freuen sich die Mitjäger mit dem Erleger.
Revierporträt Lassee
Das im Marchfeld gelegene Revier Lassee (Bezirk Gänserndorf, Österreich) umfasst 3 000 Hektar bejagbare Fläche. Im Wesentlichen werden auf den Äckern Wintergetreide (40 Prozent), Mais (12 Prozent), Sommergetreide (10 Prozent), Zuckerrüben (8 Prozent) sowie Gemüse, Kartoffeln und andere Feldfrüchte angebaut. Im Revier finden sich lediglich 170 Hektar Wald. Seit 1982 ist es eines von derzeit 11 Versuchsrevieren des Niederösterreichischen Landesjagdverbandes. Vor zwanzig Jahren wurde mit der systematischen Aufwertung des Reviers durch Biotopverbesserung begonnen. Die 45 Lasseer Jäger führen im Jahr zwei Scheinwerfertaxationen durch, um sich über die Besätze zu informieren. Danach werden die Jagden geplant. In guten Niederwildjahren finden drei große Kesseltreiben mit ungefähr 70 Flinten und vier bis fünf Klapperjagden mit 30 bis 40 Jägern statt.
Markus Deutsch