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Oryx-Pirsch am Mount Erora

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Oryx Pirsch

In Namibia gibt es nicht nur den Busch, viele reizvolle Wildarten und Sehenswürdigkeiten. Entlang des Pirschpfades liegen jede Menge Geschichten und ein Bazillus, der einen für immer süchtig macht. Heiko Hornung

Ich hatte keinen Traum von Afrika. Mich zog es nicht in den Busch und die Savanne, um den vielen unterschiedlichen Antilopen nachzustellen. Doch ich hatte mich am Fuß des Mount Erora infiziert – mit dem Afrikabazillus. Je länger ich hinter Bazzie, einem sympathischen, jungen Herero, der, wenn er lächelte, problemlos als der jüngere Bruder des Hollywood-Stars Will Smith durchgeht, herschlich, desto schlimmer wurde es: das Herzklopfen, das Zittern beim Pirschen. Ich spürte, wie jeder Wildanblick das Verlangen nach Beute, nach afrikanischer Beute, nährte. Drei Tage pirschte ich in staubigen Khaki-Hosen und Hemden, mit einem breitkrempigen Hut als Schutz vor der afrikanischen Sonne und einer geliehenen, großkalibrigen Blaser hinter Oryx und scheuen Bergzebras her. Die Vielfalt Afrikas ist atemberaubend. Jede Fahrt, jede Pirsch ein Gang wie im Garten Eden. Da brunftet im Mai der König der Antilopen – der große Kudu mit seinen edel gedrehten, langen Hörnern, seiner weißen Kriegsbemalung quer über den Nasenrücken und der zotteligen Mähne. Da galoppierten Gnus vorbei, fluteten Herden von Springböcken und Impalas vorüber. Schoben graue Nashörner ihre kolossalen Leiber durch das Halbdunkel der Dornen. Aus dem Blätterdach ragten die langen Hälse von Giraffen. Heimlich huschten Roan und die mächtigen Elen-Antilopen über verwachsene Schneisen, wackelten die langbeinigen Strauße oder trippelten Scharen von Perlhühnern auf Sandwegen vor uns her.

Irgendwo in diesem Gewirr aus Busch versuchten wir, in den Lücken eine passende alte Oryx-Kuh auszumachen. Es war später Vormittag. Die Sonne stand schon hoch, und auf die Entfernung begannen Konturen und Linien zu flirren. Wir hatten Zeit. Von einem erhöhten Auslug, einem wie scheinbar zufällig aufgeschütteten Steinhaufen, blickten wir über die Buschebene, den Mount Erora im Rücken. Der Berg hebt sich wie der Tafelberg in Kapstadt aus der Ebene. Von ihm aus erblickt man am Horizont die olivfarbenen sanft gewellten Hügel des Khomas-Hochlandes im Norden. Einen alten Bock hatte ich schon Anfang der Woche bei der Pirsch erlegt und dabei alle Fehler eines Afrika-Anfängers gemacht. Wir hatten verschiedene Oryx-Trupps angeschlichen. Es war durchweg junges Wild. Ich bekam langsam einen Blick dafür, ob es sich um männliche oder weibliche Oryx handelte, die ja beide eine Hornzier tragen. Die Kühe meistens sogar längere als die Böcke, die zwar stärker sind, aber das Gehörn mit dem Alter oft auch abkämpfen. Wie beim Gams verwischen die Zügellinien mit der Zeit. Wegen der schwarz-weißen Zügel nannten die Buren ihn im Übrigen Gemsbock. Schusshart sind sie alle.
Am späten Vormittag steuerten wir auf einen Felsen zu, auf dem sich ein Trupp Paviane tummelte. Bei unserem Erscheinen räumte die Bande laut warnend den Ausguck. Nur ein junges Männchen hatte nicht recht verstanden, warum die Verwandtschaft so ungehalten war. Zwar schimpfte er kräftig mit und beobachtete seine Brüder in den umliegenden Bäumen unter sich, aber er verstand nicht, dass der Grund dafür bereits auf drei Büchsenlängen in seinem Rücken saß. Langsam drehte er seinen Kopf nach hinten. Die Augen weiteten sich in einer Mischung aus Entsetzen und Erkenntnis, was es mir schwer machte, nicht loszuprusten. Mit rudernden Extremitäten stürzte der Affe den Hügel hinunter, was unten nicht ohne Folgen blieb. Wie aus dem Nichts standen dort plötzlich zwei Oryx-Kühe mit begehrenswert langen Spießen. Bazzie schwärmte, aber ich wollte einen Bock. Wir schlichen um die Hügelspitze, und da stand auf knapp 150 Gänge ein weiterer Oryx, den die Paviane hochgemacht hatten – ein alter Gemsbock. Dann machte ich den ersten Fehler. Ich schoss ihn mit der .338 Winchester nicht aufs, sondern hinters Blatt. Die Folge war, dass der Oryx davonzog, als hätte ich ihm einen Wattepad nachgeworfen. Zweiter Fehler, ich schoss nicht sofort nach, weil ich mich über die ausbleibende Wirkung meines Schusses einfach nur wunderte. Es wurde mit einer kleinen kämpferischen Westfalenterrier-Hündin keine lange Nachsuche. 200 Meter weiter lag der Bock verendet in den Dornen. Aber mit einem zerpflückten Hemd am Leib bekam ich eine Idee davon, was es heißt, im Busch nachsuchen zu müssen.

Jetzt sollte es noch eine Kuh sein, denn der im Frühjahr mit dem Flugzeug ermittelte Oryxbestand sei zu hoch, sagte der Farmverwalter. Der Oryx braucht etwas mehr Futter als ein Rind. Mit „Caddle per unit“ schätzt der Rinderzüchter, wie viel Wild oder Tiere die Fläche nähren kann. Ein Rind braucht pro Jahr rund 15 Hektar Grasland, daraus ergibt sich die Äsungskapazität. Wasser ist das Gold Namibias, Gras das Silber. Auf der Sney Rivier Farm wurde lange Rinderzucht betrieben. Das hat auf die Dauer zu einer Verbuschung geführt, und im Schatten der Büsche wächst immer weniger wertvolles Gras. Um gegen Geparden und den Leopard eine Chance zu haben, brauchen einige Antilopen offenes Grasland. Auf der Sney Rivier hat man deshalb in einigen Parzellen angefangen, die Bäume zusätzlich zu düngen. Daraufhin schieben sie in einer Saison zweimal Blätter und werden danach dürr. Anschließend wird die Parzelle gerodet. Auf 260 Hektar ist das „De-Bushing“ erfolgt, mit einem interessanten Gewinn an Artenvielfalt. Teilweise kann das Gras auch als Heu eingebracht werden. Etwas davon haben die Jäger in der Angst vor regenlosen Jahren für das Wild eingebunkert. Kein Regen heißt kein Gras. Dann beginnt das Wild zu verhungern. „Einen Bestand danach wieder aufzubauen, dauert Jahre“, sagt Convay. Ein massiver Mittdreißiger, der mit seiner Familie aus Südafrika auf die Sney Rivier nach Namibia übersiedelte, um auf der Gästefarm, die zu Blaser-Safaris gehört, nach dem Rechten zu sehen.

Bevor Blaser-Besitzer Michael Lüke die Sney Rivier Lodge zu einem paradiesischen, afrikanischen Landlust-Idyll umbaute, hatte die Farm rund 80 Kilometer nördlich von Windhuk eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Mit dem Ende des Hereroaufstandes
1904 kam sie zum ersten Mal in die Hände eines Deutschen, August Schmerenbeck.
Vorher war es Weideland der Hereros. Schmerenbeck war ein fahrender Händler, der mit einem Ochsengespann von Windhuk aus die Farmer und Missionsstationen im Norden abklapperte und dabei alle Güter des täglichen Bedarfs mit sich führte. Als die Hereros
sich gegen die deutschen Kolonialherren erhoben, überfielen sie nicht nur Farmen, sondern auch den Händler. Halbtot blieb er mit Kopfverletzungen im Busch liegen und schleppte sich nach dem Überfall in eine 50 Kilometer entfernte Missionsstation. Nachdem die deutsche Schutztruppe unter Generalleutnant Lothar von Trotha den Aufstand blutig niedergeschlagen hatte, erhielt Schmerenbeck die Farm als Entschädigung. Er züchtete zunächst Rinder, tauschte das Land aber später für ein Grundstück in der Hauptstadt. Buren übernahmen die Sney Rivier. In den 1960er-Jahren wurde sie zur Südwest-Wildfarm. „Eine böse Zeit“, weiß Nachbar Heini Schulz zu berichten. Der 80-Jährige mit schlohweißem Haar und Bart, hellblauen Augen, ist ein wandelndes namibisches Geschichtslexikon. Er spricht als Muttersprache Deutsch, obwohl der das Land seines Urgroßvaters, einem Gärtner, der mit vielen Hoffnungen 1860 aus Berlin kam, noch nie gesehen hat. Weiterhin beherrscht der Rinderzüchter Englisch, Afrikaans, Owambo und Damara. Schulz weiß, dass die burischen Vorbesitzer mit reichlich Alkohol an den Wasserlöchern saßen und dort Wild abschossen. Was ihnen gefiel, nahmen sie mit, der Rest blieb liegen.

Diese Zeiten waren mit der Übernahme durch Lüke vorbei. An den Wasserlöchern wird überhaupt nicht mehr geschossen. Auch vom Auto aus fällt kein Schuss. Rund um die Lodge wird auf rund 3 000 Hektar gar nicht gejagt. So ist das Wild direkt um die Gästehäuser und vor Fahrzeugen sehr vertraut. Am Abend ist es kein Problem, an einer Wasserstelle von der Veranda aus, mit einem kühlen Getränk in der Hand, die ganze Palette afrikanischen Wildes beim Schöpfen zu beobachten. Der Blaser-Besitzer ließ es aber nicht nur beim Erwerb der Sney Rivier Lodge. Er kaufte auch drei umliegende Farmen Erora (Ost und West) und Okomahoro. Damit ist ein Jagdrevier mit 24 000 Hektar entstanden. Mit Erora hat Lüke ein weiteres Stück Südwester-Geschichte erworben. Von meinem Auslug am Fuß des Mount Erora ist der Wasserturm, der wie der Turm eines verlassenen Schlosses aus dem Busch ragt, gut zu sehen. Man muss den Weg dorthin kennen. Kaum zu glauben, dass die Südwest-Schutztruppe dort einst Pferde züchtete. Es gab eine Schmiede, eine Wagnerei, ein kleines E-Werk. Zwischen Januar und März wütete Ende des 19. Jahrhunderts in den tieferen Lagen die sogenannte Pferdesterbe. Eine Seuche, bei der die notwendigen Reittiere massenweise eingingen. In den trockeneren Hochlagen trat die Seuche nicht auf. Als die Bakteriologen die Krankheit im Griff hatten, diente das große hufeisenförmige Gutshaus mit einem klosterähnlichen Säulengang als Lungensanatorium. In den verlassenen Baderäumen stehen heute noch die Öfen aus Essen, nur dass heute Paviane und Schlangen das verlassene Gebäude bevölkern. Ein Teil ist eingestürzt, weil ungebrannte Lehmsteine der Feuchtigkeit der Regenzeit nicht standhielten. Jetzt ist ein provisorisches Dach darauf, aber noch immer hat der pastellfarbene Säulengang den vornehmen Charme seiner großen Zeit.

Bazzie stieß mich an und riss mich aus meinen Gedanken. In einer kleinen Lücke in diesem Meer aus Kameldornbäumen, die wie Brokkoliröschen dicht beieinander stehen, hatte er auf gute 800 Meter eine einzelne Oryx-Kuh ausgemacht. Nach dem ersten Ansprechen müsste es ein älteres Stück sein. Schnell klaubten wir unsere Sachen zusammen, und im Laufschritt verliesen wir den Auslug. Eilig tauchten wir in die Dornenwildnis ein. Ich war gespannt, ob wir in dieser Dickung überhaupt an den Oryx kämen. Nach rund 600 Metern fiel der junge Berufsjäger in seinen katzenartigen Schleichgang, bog sich um jeden Ast, wurde immer langsamer, und auf einmal stand er. Ich tastete mich von hinten heran.
„Sie steht direkt vor uns“, flüsterte er über die Schulter. Verdammt, ich sah gar nichts. Ich fragte: „Wo?“ Er erwiderte: „Sie steht direkt vor uns, keine 20 Schritt entfernt“, und er sagte es so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. Ich hasste mich für meine Blindheit und hielt es für unmöglich, dass ich ein Stück Wild in der Größe eines Rothirsches 20 Meter vor mir nicht sah. Aber das Grau der Decke, das Schwarz-Weiß des Gesichtes und der Wamme tarnt den Oryx im Busch perfekt. Bazzie merkte, dass ich das bewegungslos sichernde Stück nicht ausmachen konnte und wisperte als letzten entscheidenden Hinweis: „Schau auf den Schwanz.“
Und tatsächlich, der etwas tiefere Blick zeigte im Gewirr von Schatten, Licht und grauen Ästen die Bewegung des langen, schwarzen Wedels. Sofort hatte das Wild Kontur.

Langsam glitt die Blaser von der Schulter. Der Oryx kam in Bewegung, wir setzten nach. „Sie kommt rechts!“, flüsterte Bazzie, und da schob sich die Oryx-Kuh mit einem deutlichen Schonen durch eine Buschlücke, in die augenblicklich der Schuss hineindonnerte.
Das Stück warf es herum, und noch bevor Zweige es verschluckten, fiel der Fangschuss. Eine Zigarettenlänge später stand ich an einem uralten Oryx mit einem steifen rechten Vorderlauf. Aber was ließ den Körper so vibrieren, was ließ die Hände so zittern, wo ich mir aus Afrika doch so gar nichts mache? Es musste dieser schreckliche Bazillus sein.

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