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Viele Krähen sind des Hasen Tod

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Meister Lampe steht bei etlichen Beutegreifern auf der Speisekarte. In der Schweiz hat man sich im Rahmen eines Forschungsprojektes auf die Lauer gelegt, um den ärgsten Fressfeinden des fortpflanzungsfreudigen Langohrs auf die Schliche zu kommen.

Im zeitigen Frühjahr flog die Wolle beim Kampf um die holde Weiblichkeit nur so. Zumal sich eine ansehnliche Anzahl Langohren auf den Rammelplätzen versammelt hatte. Das ließ die Jäger des Niederwildreviers auf eine ordentliche Strecke hoffen. Beim Zählen im Herbst kam dann die Ernüchterung: kein nennenswerter Besatzzuwachs. Also bleibt der Finger in diesem Jahr gerade, wenn Lampe in Anblick kommt. Ein solches Szenario dürften viele Waidmänner kennen, die noch nennenswerte Besätze in ihren Revieren haben. Schaut man sich die lange Liste der Fressfeinde des Hasen an, wird deutlich, welch einem Prädationsdruck die für ihre Fruchtbarkeit bekannte Art übers Jahr ausgesetzt ist. Dazu kommen noch die Folgen der intensiven Landwirtschaft, wie strukturarme, deckungslose Feldfluren und der Einsatz landwirtschaftlicher Maschinen, denen zahllose Mümmelmänner zum Opfer fallen.

Vor allem Junghasen sind gefährdet, da sie sich weder wehren, noch flüchten können (SCHNEIDER 1978, LEICHT 1979). Aber welche Beutegreifer setzen dem Hasennachwuchs besonders zu? Und gibt es einen Zusammenhang zwischen Landschaftsstruktur und Prädation? Um diese Fragen zu klären, wählte Arnaud Fernex im Schweizer Kanton Basel-Landschaft eine interessante Vorgehensweise. Junghasen verströmen kaum Wittrung und sind durch den graubraunen Balg gut getarnt. Zudem verharren sie in den ersten drei Lebenswochen regungslos, wenn sie nicht gerade gesäugt werden. Das macht das Auffinden und Beobachten schwierig. Deshalb hat Fernex für seinen Versuch Hasenattrappen entwickelt, die die wichtigsten Eigenschaften von Junghasen besaßen. In Größe, Gewicht, Form und Farbe entsprachen sie einem ungefähr zwei Tage alten Langohr. Wichtig war außerdem, dass die Nachahmungen wie ihre lebenden Vorbilder nur einen relativ schwachen Geruch ausstießen. Deshalb kamen speziell angefertigte Würste zum Einsatz, wobei das Fleisch weder gesalzen, geräuchert, gewürzt oder gekocht war. Vor dem Verteilen im Revier wurden sie noch in braune Papierservietten eingerollt, um auch eine farbliche Ähnlichkeit zu erreichen. In einem Vorversuch testete Fernex, ab welcher Distanz die Junghasen-Nachbildungen von einem Jagdhund entdeckt werden. Erst als der Vierläufer bei gutem Wind mehrmals ungefähr einen halben Meter daran entlanggeführt worden war, wurde er auf die Päckchen aufmerksam. Offensichtlich verströmten sie, wie gewünscht, nur einen schwachen Geruch. Ausgebracht wurden die Attrappen in einem landwirtschaftlich intensiv bewirtschafteten Gebiet (Ackerbau 52 Prozent, Dauergrünland 37 Prozent). 1,3 Prozent der Flächen nehmen Buntbrachen ein. In den vergangenen zehn Jahren zählten Mitglieder des Vereins „Hopp Hase“ (siehe Kasten auf Seite 22) im Versuchsgebiet mithilfe der Scheinwerfertaxation durchschnittlich zwei Hasen pro Quadratkilometer. Damit ist der Besatz verhältnismäßig gering, aber über die Jahre konstant geblieben.

Mit einer Greifzange brachte Fernex die Hasenattrappen aus, um möglichst wenig menschliche Wittrung zu hinterlassen.
Die Attrappen hatten das Gewicht eines zwei Tage alten Junghasens (180 Gramm).

Um herauszufinden, wo die Attrappen beziehungsweise die Junghasen am ehesten von Fressfeinden entdeckt werden, platzierte Fernex jeweils eine Nachbildung im Feld und eine am Feldrand. Im Zeitraum vom 1. April bis zum 11. Juni 2010 deponierte er einmal pro Woche zwischen 16 und 22 von ihnen auf Pflugland und Wiesen sowie in Getreidefeldern und Buntbrachen. Das Verteilen erfolgte stets erst nach Einbruch der Dunkelheit, um potenzielle Prädatoren, wie beispielsweise Krähen, nicht schon beim Ausbringen aufmerksam zu machen. Während der vier Nächte und drei Tage, die die künstlichen Junghasen jeweils auf den Versuchsflächen lagen, wurden sie von Wildkameras überwacht.

In den weitaus meisten Fällen machten sich Rabenkrähen an den Junghasen-Nachbildungen zu schaffen. Mit einigem Abstand folgen Hauskatze und Hund.

Von den ausgelegten 170 Attrappen wurden 98 von Fressfeinden entdeckt. Allerdings lösten die Kameras nicht immer aus. So wurde in 32 Fällen, also ungefähr einem Drittel, kein Bild aufgenommen, obwohl die Attrappe bewegt oder entfernt wurde. Also ist die Zahl der entdeckten Nachbildungen als Minimum anzusehen. Mit Abstand am häufigsten wurden Rabenkrähen an den Junghasenattrappen aufgenommen. Sie haben in 43,9 Prozent der Fälle die Nachahmungen als Erste entdeckt. Als zweit- und dritthäufigste Finder folgen mit relativ großem Abstand Hauskatzen (19,7 Prozent) und Hunde (18,2 Prozent). In 9,1 Prozent der Fälle haben Füchse die Kamera ausgelöst. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass im Versuchsrevier während der Scheinwerfertaxation im Jahr 2010 deutlich weniger Rotröcke gezählt wurden als in den Vorjahren. Vermutlich ist die Fuchsräude dafür verantwortlich. Neben den bereits genannten Arten wurden auch Dachse (4,5 Prozent), Schwarzmilane (3 Prozent) und Stein-marder (1,5 Prozent) an den Attrappen bestätigt. Bemerkenswert ist, dass alle Beutegreiferarten mit Ausnahme des Fuchses die ausgebrachten Nachbildungen öfter am Feldrand als in der Feldmitte entdeckt haben. Das bestätigt einmal mehr, dass Prädatoren sich bevorzugt entlang von linearen Strukturen, wie Ackerrändern, Wegen und Gräben, bewegen. Besonders signifikant ist das bei den Katzen. Die von ihnen gefundenen Attrappen waren in 84,6 Prozent der Fälle am Rand platziert. Auch die Kultur, in der die Nachbildungen abgelegt wurden beziehungsweise in der sich der Junghase aufhält, kann indirekt über Leben und Tod entscheiden. Von den auf Ackerflächen verteilten Attrappen haben die Prädatoren 93,9 Prozent entdeckt. Am zweithäufigsten waren die Beutegreifer auf Wiesen erfolgreich (54,6 Prozent), gefolgt von Buntbrachen. Die meiste Sicherheit boten Getreidefelder. In ihnen wurden lediglich 38,1 Prozent gefunden. Entscheidend ist hier wohl die Höhe und Dichte der Vegetation. Liegen die Attrappen im Ackerland – besonders für Krähen aus der Luft gut sichtbar – quasi auf dem Präsentierteller, so sind sie im dichten Getreide verhältnismäßig sicher. Beutegreifer bevorzugen anscheinend den komfortableren Weg außenherum. Problematisch ist jedoch, dass in Getreideschlägen häufig selbst für Hasen die Vegetation aufgrund der geringen Saatreihenabstände zu dicht ist (HOLZGANG et al. 2004). In diesem Fall kann Lampe nicht von der Schutzfunktion profitieren.

Die Grafik zeigt, in welchen der vier untersuchten Kulturen die unterschiedlichen Beutegreifer fündig wurden.
Rabenkrähen entdeckten in fast der Hälfte der Fälle die Nachahmungen zuerst.

Ausgehend von den beim Experiment gesammelten Daten lässt sich die „Überlebenschance“ einer Attrappe während der ersten drei Wochen errechnen, also für den Zeitraum, in dem auch Jung hasen besonders gefährdet sind. Für die auf den Ackerflächen ausgebrachten Nachahmungen sieht es düster aus: Weder in der Mitte noch am Rand besteht eine Chance zu überleben. Lediglich inmitten von Getreidefeldern und Buntbrachen ist die Wahrscheinlichkeit mit 39,7 beziehungsweise 19,6 Prozent nennenswert hoch. An den Feldrändern besteht so gut wie keine Möglichkeit, den Beutegreifern zu entgehen. Da die Untersuchungen mithilfe von Attrappen gemacht wurden, können die Zahlen nicht eins zu eins auf Junghasen übertragen werden. Allerdings kann man davon ausgehen, dass die ermittelten Größenordnungen stimmen.

Die Ergebnisse der Studie zeigen deutlich, dass Prädatoren einen wesentlichen Einfluss auf die Besatzentwicklung des Feldhasen haben, weil sie den Junghasennachwuchs massiv dezimieren können. Zieht man dann noch ins Kalkül, wie viele Langohren durch die intensive Landnutzung ihr Leben lassen, wird klar, warum vielerorts dem Hasen seine sprichwörtliche Fruchtbarkeit nicht viel nützt. Auf die Art der Landbewirtschaftung hat der Jäger in den meisten Fällen keinen Einfluss. Jedoch kann er Meister Lampe helfen, indem er durch eine konsequente und scharfe Prädatorenbejagung – vor allem auf Rabenkrähen – den Beutegreiferdruck verringert.

Hauskatzen fanden meist die an Feldrändern ausgelegten künstlichen Junghasen.
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