Objektive und faire Methoden für die Schätzung und Berechnung von Wildschäden
Wie ein Leberhaken trifft das Bild am Ende einer Morgenpirsch den Jäger. Die Sauen wüteten wieder einmal im Mais. Der bange Blick aufs Konto schlägt dann doch auf den Magen. Ist der Familienurlaub in Gefahr? |
Von Kai Kapacek und Wildmeister Karl Lapacek
Wildschadenschätzer Waage, Bauer Harms und Jäger Hubertus stehen mit betretenen Mienen vor einem von Sauen umgedrehten Maisschlag. Und dann geht’s los. Das Ganze läuft ab wie bei einer Auktion: Harms bietet mehr, Hubertus weniger. Waage hört die Zahlen, schärft den geübten Blick, lässt ihn noch einmal über den Mais wandern und entscheidet. Er trifft genau die Mitte.
So oder so ähnlich laufen hunderte Wildschadenschätzungen alljährlich und bundesweit ab. Und alles wird gut. Mitnichten! Wenn überhaupt Daten ermittelt werden, sind sie häufig ungenau. Die Schätzergebnisse sind subjektiv und führen zu unnötigen Streitereien – zunehmend mehr auch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen.
Doch was ist eigentlich Wildschadenschätzung? Kuhhandel, Kompromissgespräch oder eine möglichst exakte Wertbestimmung? Antwort gibt ein Blick in eine Verordnung über das Verfahren in Wild- und Jagdschadenssachen, wie sie vergleichbar zu allen Landesjagdgesetzen existiert. Wildschadenschätzung kann und soll im ersten Schritt eine gütliche Einigung, ein Kompromiss, Verständigung, vielleicht eine Zahlungsverpflichtung oder ein Versprechen sein. Sie muss aber mindestens der Versuch einer korrekten Wertbestimmung sein, wenn der erste Schritt misslingt.
Der Schätzer trifft meist genau die Mitte
Der Schätzer hat je nach Formulierung in den jeweiligen Landesverordnungen nach bestem Wissen und Gewissen tätig zu werden. In jedem Fall hat er sachverständig tätig zu werden. Stellt sich die Frage, ob eine freihändige Schätzung durch bloße Inaugenscheinnahme sachverständig ist. Ist es sachgerecht, wenn die „Schätzung“ meist genau die Mitte zwischen Forderung und Angebot trifft?
Bei der Beobachtung von Wildschadenschätzern im Vergleich zur Arbeit eines vereidigten Sachverständigen ist häufig ein deutlicher Qualitätsunterschied erkennbar. Dies mag daran liegen, dass vereidigte Sachverständige ihre Fachkenntnisse nachweisen, und dies turnusmäßig wiederholen müssen.
Die Arbeitsgebiete des Schätzers und des landwirtschaftlichen Sachverständigen sind aber gleich. Beide haben Feldinventar zu bewerten. Beide sollten über ein ausreichendes Wissen über Wild, Jagdausübung, gesetzliche Regelungen zur Wildschadenersatzpflicht und zum Schadenersatzrecht im allgemeinen verfügen.
Im Kern aber geht es um die Bewertung von Feldinventar, d. h. der auf dem Acker vor und nach dem Wildschaden befindlichen unfertigen oder erntereifen Früchte und um die Ermittlung des Normalertrages. Der Normalertrag ist der Ertrag, der ohne Eintritt des Wildschadens zu erzielen gewesen wäre. Bei Totalschäden entspricht er dem Wildschaden. Bei Teilschäden ist die noch erzielbare Erntemenge vom Normalertrag abzuziehen, die Differenz ist Wildschaden.
Die rein rechnerische Bewertung von Wildschäden im Feld ist einfach. Wichtiger ist die Kenntnis einer methodisch sorgfältigen und einwandfreien Ermittlung der notwendigen Daten. Genau hier hat der Sachverständige sein eigentliches Aufgabengebiet.
Generell gilt: Alles, was gemessen, gezählt, gewogen werden kann, braucht nicht geschätzt zu werden. Es sollten also Proben genommen werden. Dies kann meistens nicht auf ganzer Fläche, sondern nur stichprobenartig geschehen. Ein praxisorientiertes Verfahren sollte uneingeschränkt gewährleisten, dass zur Ermittlung der notwendigen Daten der Aufnahmeaufwand in einem angemessenen Verhältnis zur voraussichtlichen Schadenhöhe steht. Steht ein Schadenersatz von mehreren 1000 Mark im Raum, muss für die Ertragsermittlung ein angemessener Zeitaufwand in Kauf genommen werden. Bei Schadensummen unter 1000 Mark mögen einfachere Verfahren ausreichend sein.
Bei der Ermittlung des Normalertrages sind prinzipiell nur unbeschädigte Feldteile mit vergleichbarem Aufwuchs miteinzubeziehen. In Bereichen mit Randeinflüssen – z. B. durch Wald oder Windschutzstreifen – sowie auf Vorgewenden sollten keine Proben genommen werden. Auf reine Schätzverfahren auch bei noch so großer Erfahrung und Selbstsicherheit des Schätzers sollte im Interesse beider Parteien verzichtet werden.
Ziel der Stichprobenaufnahme ist, die bei der Ernte auf den geschädigten Stellen potentiell erzielbaren Erträge in Naturaleinheiten zu bestimmen. Dabei zielt die Aufnahme vorrangig auf quantitative Merkmale (z. B. Gewicht) ab. Bei jedem Stichprobenverfahren wird nur ein Teil der Grundgesamtheit aufgenommen. Als Grundgesamtheit sind alle Pflanzen der zu beurteilenden Fläche zu verstehen. Die festgestellten Werte werden dann durch Bildung des arithmetischen Mittels zu Gesamtwerten für die Fläche hochgerechnet. Normalerträge werden in Doppelzentnern, Futterpflanzen auch in Kilo-Stärkeeinheiten pro Hektar ermittelt.
Die Stichprobe ist eine statistisch abgesicherte objektive Teilaufnahme und gestattet die repräsentative Erfassung der Ertragsverhältnisse der Gesamtfläche. So werden subjektive Aufnahmen von bestimmten Bereichen, die unweigerlich zum Vor- oder Nachteil einer Partei führen, ausgeschlossen.
Bei dem für Wildschadenverfahren üblichen, systematischen Stichprobenkonzept werden entsprechende Feldpartien für die Aufnahme zur Ertragsermittlung ausgewählt. Es wird nach einem starren vorher festgelegten Schema vorgegangen. Als Beispiel mag die Aufnahme einer Probefläche von einem Quadratmeter alle 50 Meter in einem regelmäßigen Quadratnetz (Grafik 1) dienen. Die Genauigkeit dieses Verfahrens ist über die Homogenität der Pflanzen eines Schlages und über den Umfang der Stichprobe abschätzbar. Entscheidend sind Verteilung, Anzahl, Form und Größe der Probeflächen.
Zur Verteilung der Probeflächen
Die Verteilung der Probeflächen auf dem Schlag soll objektiv geschehen. Es dürfen keine Teile der Fläche bevorzugt aufgenommen oder weggelassen werden.
Von sehr geringem Wert sind daher die sogenannten Raffproben. Sie werden nur in der Nähe der Schadenfläche durchgeführt und sind dadurch nicht repräsentativ, was folgendes Beispiel verdeutlichen soll. Sauen haben an Kartoffeln, auf der gesamten Feldfläche verteilt, unterschiedlich starke Schäden verursacht. Zur Ermittlung der Schadenfläche werden die einzelnen Schadstellen aufsummiert. Die Ertragsermittlung findet allerdings nur in der Nähe einer Schadenstelle statt (Grafik 1). Wird nun mit dem so festgestellten Ertrag für die gesamte Fläche die Wildschadenersatzgröße errechnet, sind gravierende Fehler zu erwarten.
Zum Stichprobenumfang
Der Stichprobenumfang, die Anzahl der Probeflächen bzw. Pflanzen, ist u. a. abhängig von der Genauigkeitsforderung und der Gleichartigkeit der Bestände. Je höher die Anforderungen an eine Aufnahme sind, desto größer muss der Stichprobenumfang sein. Je ungleichmäßiger ein Merkmal ist, desto mehr Stichproben müssen gezogen werden. Stichprobenfehler von fünf bis zehn Prozent sind akzeptabel. Diese Genauigkeit wird bei sachgemäßem Verfahren normalerweise erreicht.
Je geringer die Anzahl der Stichprobenpunkte ist, desto genauer und aufwendiger kann die einzelne Stichprobe aufgenommen werden. Es gilt hier ein angemessenes Verhältnis zwischen der Anzahl der Proben und der Genauigkeit ihrer Aufnahme zu finden. Da der Messaufwand bei landwirtschaftlichen Kulturen recht einheitlich ist, sollten eher mehr Stichprobenpunkte genommen werden.
Zur Form der Probefläche
Für die Form der Probefläche kommen Kreis, Quadrat oder Rechteck in Frage. Grundsätzlich gilt der Kreis als sehr günstig. Er hat das kleinste Umfang-Flächen-Verhältnis. In der Praxis kommt er auf Grünland, bei Feldfrüchten, eventuell auch bei Getreide in Frage. Getreide wird auch im Quadrat (1 m x 1 m) beprobt. Wegen der weiteren Reihen- und Pflanzabstände bei Hackfrüchten, Mais, Sonnenblumen usw. scheiden im Hinblick auf die geforderte Genauigkeit diese Formen aus. Hier ist die Probefläche als Rechteck anzulegen. Zum jeweiligen Reihenabstand wird eine Länge zugeordnet. So entspricht ein Quadratmeter Mais bei 75 Zentimeter Reihenabstand einer Reihenlänge von 1,333 Metern. Eine Probefläche von zehn Quadratmetern entspricht einer Reihenlänge von 13,333 Metern, eine Probefläche von 100 Quadratmetern entspricht einer Reihenlänge von 133,333 Metern.
Zur Größe der Probefläche
Die Größe kann nicht generell empfohlen werden. Je größer die Probefläche gewählt wird, desto geringer ist die Streuung der Ergebnisse zwischen den Probeflächen. Bei großen Probeflächen wird man andererseits die Zahl der Aufnahmeeinheiten reduzieren. Die Stichprobenverfahren verlieren damit ihre Wirksamkeit und werden aufwendiger.
Bei Hackfrüchten ist es zweckmäßig, an den Stichprobenpunkten zu differenzieren und sich den je nach Pflanzenart und Wildschadensituation geforderten Daten anzupassen. Hierzu seien einige Beispiele genannt.
- Maisschaden
Ertragsermittlung vor der Ernte: Zehn Stichproben á ein Quadratmeter Probeernte = 10 x 1,33 laufende Meter (lfdm) ernten, wiegen, berechnen. - Rübenschaden
Laut Protokoll der zuständigen Behörde sind im Juni 780 durch Schwarzwild geschädigte Rüben festgestellt worden. Es folgt eine Ertragsermittlung vor der Ernte: zehn Stichprobenpunkte wählen, jeweils fünf Rüben in der Reihe roden, Durchschnittsgewicht für eine Rübe berechnen und mit 780 multiplizieren. - Kartoffelschaden
Die Flächenaufnahme im Juli hat insgesamt 6250 Quadratmeter ergeben. Die Schadflächen sind über den gesamten Schlag in unterschiedlicher Größe verteilt.Zu erhebende Daten:
a) tatsächliche Zahl gelegter, wachsender Kartoffelstauden.
b) Normalertrag und Schadenermittlung.Zu a): Auszählen von x Stichprobenpunkten zu je 10 qm (bei 0,75 m Reihenabstand = 13,33 lfdm) ergeben im Durchschnitt 3,86 Stauden pro Quadratmeter oder 38 600 Stauden pro Hektar.
0,6250 Hektar Schaden x 38 600 Stauden pro Hektar ergibt 24 125 Stauden Wildschaden.
Zu b): Ertragsermittlung: x Kartoffelstauden an x Probepunkten roden, von anhaftendem Schmutz säubern, wiegen, arithmetisches Mittel für eine Staude berechnen und mit 24 125 multiplizieren.
Stichprobenfehler
Eine Stichprobenaufnahme kann auch mit Fehlern behaftet sein. Zum einen existiert ein sogenannter Stichprobenfehler, der angibt, um wieviel die repräsentativ ermittelten Ertragswerte von einer durch eine Vollaufnahme – d.h. die Gesamternte würde ausgewogen – abweicht. Parallel können noch weitere Fehler in Form von zufälligen (ungenaue Messgeräte etc.) und systematischen Fehlern auftreten (Probekreise werden ständig zu klein gewählt usw.). Beide Fehlerarten führen zu Verzerrungen der Ergebnisse. Durch sorgfältige Aufnahmearbeit können sie vermieden werden.
Gravierend fehlerhaft ist zum Beispiel die Hochrechnung der Stichprobenergebnisse auf eine nicht korrekt gemessene Gesamtfläche. Gleichermaßen unsachgemäß sind auch Wildschadenrechnungen zum Beispiel bei Kartoffelschäden, die von rein theoretischen Pflanzenzahlen pro Hektar ausgehen, einen Ertrag durch Raffstichproben ermitteln und völlig theoretische Erntemengen errechnen.
Mit einem sachgemäßen Bewertungsverfahren, einem entsprechenden Stichprobenumfang, genauen Messgeräten und richtiger Rechnung ist es andererseits möglich, reelle Wildschadenschätzungen zu bewältigen. Nur über eine genauere Kenntnis dieser landwirtschaftlichen Methoden können wildschadenpflichtige Jagdpächter zu ebenbürtigen Partnern des Ersatzberechtigten werden.