In der Suhler Hexenküche

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Bunthärtung bei Merkel:
Ein dunkles, blauschimmerndes System gehört zu begehrten englischen Luxuswaffen genauso wie feine Arabesken- oder Rankengravuren. In Deutschland ist die Suhler Jagd- und Sportwaffen GmbH (Merkel) einer der wenigen Hersteller, die selber noch bunthärten. Arndt Bünting sah den Suhler „Köchen“ über die Schulter.

 

Von Arndt Bünting

Es zischt, prasselt und brodelt wie in einem Hexenkessel, eine Wolke aus Wasserdampf steigt auf, und Kohleteilchen schießen wie kleine Geschosse durch die Luft. Von einem Podest, das mit großen Blechen abgeschirmt ist, ergießt sich ein Wasserschwall mit Rußpartikeln auf den Boden. Nein – wir sind nicht am Hexenaltar und der Teufelskanzel am Brocken, und es ist nicht Walpurgisnacht, in der sich die Hexen mit dem Teufel vermählen. Es ist ein ganz normaler Arbeitstag bei Merkel in Suhl. „Die Systemteile wurden gerade von 800 Grad kalt abgeschreckt“, sagt Reinhard Matthes im thüringischen Dialekt, nachdem er seinen Gesichtsschutz wie ein Ritter hochgeklappt hat. Mit seinem Schutzhelm, Asbest-Schürze und feuerfesten Arbeitshandschuhen würde er einem Hochofenarbeiter bei Thyssen alle Ehre machen.

Schwarzer Staub und Ascheteilchen

Es ist immer noch heiß und stickig, und der Geruch von Waffenöl liegt in der Luft. Schwarzer Staub und Ascheteilchen bedecken den Boden. In diesem Raum der Suhler Werkshallen geht es aber nicht immer wie in einer „Hexenküche“ zu: Nur alle paar Tage – je nach Auftragslage – werden Waffenteile buntgehärtet, wird der „Kessel“ im Keller angeheizt.

Der Feinschliff

Öfen und Sieden stehen in dem Raum, in der Mitte das große Podest mit den Schutzblechen, die das Ganze wie eine Art „Dunstabzugshaube“ aussehen lassen. Systemmacher Matthes „kocht“ hier in einem speziellen Verfahren die silbrig glänzenden Systeme „bunt“. Die werden vorher aus dem Ganzen von hochpräzisen CNC-Maschinen gefräst und von erfahrenen Büchsenmachern mit entsprechendem Feinschliff versehen, bevor sie gehärtet werden. „Der Anteil der Handarbeit liegt bei mindestens 50 Prozent. Bei einigen Modellen sogar bei 70 Prozent“, erklärt Matthias Dunkel. „Die CNC-Fertigung nimmt aber immer breiteren Raum ein, schließlich lassen sich nur so Kosten sparen und vorgefertigte Teile präzise für eine Serienfertigung vorbereiten“, so der Suhler Marketing-Leiter weiter.

Unter der Einwirkung von Hitze und bestimmten Stoffen entsteht bei der Bunthärtung die wunderschön schillernde, blau und goldene Marmorierung auf den Metallteilen, seien es Schrauben, Federn, Seitenplatten oder ganze Systeme. „Früher war das Bunteinsatz-Härten bei einigen Modellen Standard, bei anderen die Vorbereitung für grau gebeizte Systeme. Jetzt versteht es kaum ein Jäger, dass wir für den aufwändigen Herstellungsprozess ein wenig mehr verlangen müssen“, schmunzelt Olaf Sauer, neuer Geschäftsführer bei Merkel und gleichzeitig Leiter der Abteilung „Qualitätssicherung“ bei Heckler & Koch, dem neuen Eigner des traditionsreichen Suhler Unternehmens.

$(zwtitel :Die Hämmermaschine von Merkel)
Mittlerweile sind buntgehärtete Waffen – gerade im oberen Preissegment – auf dem Markt wieder heiß begehrt. So begehrt, dass andere Unternehmen bei Merkel Metallteile bunthärten lassen. Beileibe übrigens nicht die einzigen Fremdarbeiten, die die Suhler für andere Waffenhersteller übernehmen: Wer meint, die Läufe des Herstellers x schießen besser als die des Herstellers Merkel, würde vielleicht ganz anders urteilen, wenn er wüsste, für welche Waffenfirmen die Hämmermaschine des größten Suhler Waffenherstellers noch so alles Läufe ausspuckt.

Lederkohle als Härtemittel?!

Grundlage für das Bunthärten, auch „Einsetzen“ genannt, ist neben Holzkohle ein Stoff, den in diesem Zusammenhang wohl kaum jemand erwartet: Leder, genauer gesagt Rindsleder, mit einem bestimmten Anteil an Gerbstoffen. Dieses Leder wird in einem Brennofen wie in einem Meiler zu „Lederkohle“ verbrannt. Der hohe Kohlenstoffanteil ist nötig, um die gewünschte Härte des Werkstoffes zu erreichen, denn erst durch dieses Verfahren werden Eisenbestandteile oder kohlenstoffarme Schmiedestähle an ihrer Oberfläche in Stahl verwandelt. Nach diesem Prozess erreicht das Werkstück an der Oberfläche eine Vickershärte von 300 bis 330 HV1. Im Vergleich dazu kommt beispielsweise Weicheisenschrot auf eine Härte von 110 HV1.

Während des eigentlichen Einsetzens werden die zu härtenden Teile separat verpackt, in die Lederkohle gebettet und in einem Einsatz-Ofen geglüht, und das für etwa ein- bis anderthalb Stunden.

Der rotglühende „Block“ wird jetzt mit einem Handkran auf das Podest gehieft. Reinhard Matthes lässt die Schutzbleche heruntergleiten, die die Glut mit den Systemen und der Kohle nach außen abschirmt. „Vorsicht, zurücktreten“, ruft er noch, und dann zischt und prasselt es schon wie oben beschrieben – mit kaltem Wasser wurden die Teile „abgeschreckt“. Entscheidend für das Aussehen der Oberfläche ist die Qualität der eingesetzten Kohlearten. Durch das Abschrecken und die Rückstände der Kohle bildet sich auf der Oberfläche des Werkstückes eine Kristallstruktur aus. Durch den Lichteinfall auf diese Strukturen entstehen die wunderschönen Farbspiegelungen, die mehr oder weniger ins bläuliche oder goldene changieren. Bei Merkel-Waffen herrscht ein dunkler, bläulicher Ton vor.

Der Lack für die Suhler

„Hexenmeister“ Matthes zieht sich die Schutzkleidung aus und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Jedes Stück hat eine andere Zeichnung und ist ein Unikat“, sagt er und schüttet danach den Behälter mit den verbrannten Kohleresten und den Systemteilen aus und reinigt sie. „Sieht doch gut aus, oder? Was jetzt noch fehlt ist der Lack.“ Das hat zwar mit dem Bunthärten nicht direkt etwas zu tun, aber es gehört bei Suhl dazu. Das fertige System wird mit einem Einbrennlack überzogen, um so den Stahl wesentlich besser gegen äußere Einflüsse, zum Beispiel Rost, zu schützen. Dieses Verfahren ist zertifiziert und nennt sich im Fachjargon „Optimierter Korrosionsschutz für das traditionelle Bunteinsatz-Härten“.

Die fertigen Teile werden nun dem Produktionsablauf wieder zugeführt und mit Schaft, Laufbündel und weiteren Teilen zu einer Waffe zusammengefügt. Und irgendwann erfreut sich dann ein Jäger an seinem edel ausschauenden, buntgehärteten System mit der individuellen Note aus der Suhler „Hexenküche“.

Rindsleder ist einer der Stoffe, die bei der Bunthärtung eine wichtige Rolle spielen

 

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