SCHNEPFENJAGD
Schnelle Vögel, flinke Schüsse, perfekte Hundearbeit – ein Flintenjägertraum. Michael Sand erlebte ihn im Königreich.
Foto: Michael Sand
“Schieß, schieß“, ruft der Berufsjäger Trevor, kurz nachdem wir den Land Rover verlassen haben. Zwei in Tweed gehüllte Skandinavier haben soeben die Stände bezogen. Meine Zwanziger Flinte holt einen der verspielten Flieger vom Himmel. Die gefleckte „Dame mit dem langen Gesicht“ segelt ins Gras. Schon ist der Springer Spaniel zur Stelle und apportiert.
1893 setzte sich der Verwandte des Springers, der Cocker Spaniel, in England durch. Sein Name zeigt bereits sein Einsatzgebiet – die Jagd auf Waldschnepfen (englisch: Woodcocks). Es ist die reine Freude, gut abgeführten Vertretern der Spaniel in einem der Flinten-Mutterländer bei der Arbeit zuschauen zu können. „Flick“ hat die Schnepfe ausgegeben und schaut erwartungsvoll zu Trevor, um erneut geschickt zu werden. Die Positionen sind eingenommen, die Treiber im Gehölz und Trevor ruft dem Vierläufer ein „Go“ zu. Sofort sprintet der Braunschimmel los, und kurz darauf schießt pfeilschnell ein Schnepf auf mich zu. Intuitiv schwingt der Lauf, die Schrotgarbe ist draußen und lässt den Vogel abstürzen. Zwei Schuss, zwei Schnepfen. Mein schwedischer Freund Martin nickt mir beeindruckt zu. Auch er hat sofort Anflug. Doch die ersten drei Vögel gehen ihm durch die Lappen. Im Moment fühle ich mich ob meiner „Quote“, als wäre ich um einen halben Meter gewachsen. Da aber bekannterweise Hochmut vor dem Fall kommt, ahne ich bereits, was folgen wird.
Pure Arbeitsfreude: „Flick“ hat apportiert und stürmt bereits wieder los, um nach
dem nächsten Kommando weitere Langschnäbel hochzumachen. Foto: Michael Sand
Der Sniper, wie Scharfschützen im Englischen genannt werden, trägt seinen Namen nicht umsonst. Seinen etymologischen Ursprung fand er, wie so vieles, in der Jagd. Der Titel galt demjenigen, der in der Lage war, Schnepfen (snipes) mit der Kugel in der Luft zu treffen. Momentan traue ich mir diese Leistung ebenfalls zu. Wir wechseln die Position.
„Ihr könnt auch auf Kaninchen, Füchse oder Fasanen schießen, wenn Ihr sie seht“, betont Trevor. Wir haben aber nur die „Königinnen des Waldes“ im Kopf. Bereits auf dem Weg zu den nächsten Ständen streichen zwischen Martin und mir vier Stücke ab. Ein sicherer Schuss ist nicht möglich, da wir uns gegenseitig gefährden würden. Der Schwede ist geknickt. Bisher ist es ihm noch nicht gelungen, eine Morkulla (schwedisch für Schnepfe) zu erbeuten. „Ich hätte besser die Büchse eingepackt“, murmelt er mürrisch. „Wenn das so weitergeht, fang ich mit dem Golfen an“, schiebt er hinterher und zeigt, dass ihn sein Humor noch nicht verlassen hat. „Das wird schon“, versuche ich ihn aufzubauen und hoffe, dass ich nicht überheblich wirke. Denn noch traue ich mir zu, augenblicklich eine Flintenschule zu eröffnen. „Aufwachen, schieß!“, reißt mich Trevor aus meinen Gedanken. Ich fahre mit, überhole den braungepunkteten Körper und bleibe stehen. Der Hagel zerschneidet nur die Luft. Ärgerlich! Doch schon kommt der nächste Flieger, und ich – patze zum zweiten Mal.
Der Vogel mit einer fast mythischen Bedeutungen für den Jäger: die Waldschnepfe (Scolopax rusticola) Foto: KlaUS Schendel
Martin zuckt mit den Schultern. Eine aufmunternde Geste, bei der jedoch eine gewisse Erleichterung mitzuschwingen scheint. Ich deute auf einen dunklen Punkt, der sich ihm nähert. Souverän fliegt seine Flinte in den Anschlag und, um in der Landessprache zu bleiben: „Tail, body, head – boom“, segelt seine erste Schnepfe in das leicht verschneite Gras. Ein Strahlen zieht über sein Gesicht. Es weicht einem Stirnrunzeln, als ich Trevor um eine Pause bitte, um einer alten dänischen Sitte ihren Platz einzuräumen. Es folgt der Kuss auf das Waidloch der soeben erlegten „Königin“. Die Einheimischen sind skeptisch. Martin
küsst. Nach diesem Spaß überreiche ich dem langhaarigen Schweden die Trophäe seiner ersten Schnepfe: die Malerfeder. Dies ist die erste kleine Feder an der Handschwinge, beziehungsweise die Daumenschwinge am Flügelbug. Dann beziehen wir erneut Stellung und „Flick“, völlig unbeeindruckt von so viel Tradition, kann endlich wieder seine Arbeit
aufnehmen.
Ein eingespieltes Team: Trevor und „Flick“ Foto: Michael Sand
Wales ist ein Paradies für Schnepfenjäger. Das Wild findet hier ideale Bedingungen und darüber können sich auch die Jäger freuen. Bei Treibjagden mit acht bis zehn Flinten liegen häufig 50 bis 57 Vögel auf der Strecke. Wir erwarten im Hinblick auf die gezeigten eigenen Flintenkünste und dem Fakt, dass wir aufgrund des gestrichenen Fluges zweier norwegischer Mitstreiter zu zweit in der „Schützenkette“ stehen, natürlich bei Weitem nicht so viel.
Martin ist nun konzentrierter als vorher. In einer Mischung aus Jagd- und Voranschlag ist er zum Standbild erstarrt. Wahrscheinlich hat ihn der „Kuss“ angespornt. Ich behalte die Weiden und das Gestrüpp vor mir im Auge. Auf eine Bewegung in der Luft rechts von mir, reiße ich die Flinte hoch – und lasse sie augenblicklich wieder sinken. Ein Sperber zieht
seine agressiven Flugbahnen. Die Freigabe Trevors war zwar sehr großzügig, doch auch in Wales ist die Bejagung der „Luftwaffe“ verboten. Das letzte Treiben des Tages kündigt sich durch die Hundepfeife an. Wir verharren angespannt. Dem morgendlichen Hochgefühl der zwei Schnepfen mit zwei Schuss war die Skepsis wegen der drei Patzer gefolgt. So ist es wohl logische Konsequenz, dass auf fünf Schuss nur noch eine Schnepfe und eine „Himmelsziege“ (Bekassine) ihren Weg in „Flicks“ Fang zu mir finden. Auch Martin kann
nur noch einen Schnepf erbeuten. Durchnässt von dem Schneeregen, den uns der Januar beschert, sammeln wir uns nach dem Treiben und legen unsere kleine, aber edle Strecke. „Fünf Königinnen sind tot, und doch die Königinnen leben“, sagt Martin. Trevor hat noch eine Überraschung in petto.
Die kleine Verwandte der Schnepfe – eine Bekassine Foto: Michael Sand
„Nachtjagd auf Schnepfen und Enten – habt Ihr Lust?“ Diese Frage muss er nicht zweimal stellen. Natürlich haben wir Lust. In Wales ist es nicht verboten, nach der Abenddämmerung weiter zu jagen. Der Mond spielt heute mit. Der erfahrene Waliser Jäger postiert Martin zwischen zwei Findlingen und mich unter einer Weide an einem Bachlauf. Sofort steigt ein Schof Krickenten auf. Ich schieße – eine fällt. „Die werden nicht zurückkommen“, mutmaßt Trevor, und mir wird klar, dass ich meine Chance auf ein Wiedereinfallen soeben minimert habe. Mein Blick fällt auf den dichten Wald. Der Mond geht gerade auf. Mit jeder Minute wird es heller und heller.
„Die Enten streichen häufig über diesen Baum ein“, erklärt Trevor noch, als meine Flinte wieder in den Anschlag geht und die zweite Krick-Arbeit für „Flick“ vorbereitet. Trevors Ausführungen scheinen mir Glück zu bringen. Denn kurze Zeit nach der zweiten Ente flüstert er erneut: „Die Schnepfen halten sich für gewöhnlich an den dichten Fichtenbestand, aber am Bachlauf hat man auch immer …“, der Rest bleibt im Hals und wird durch ein „Da kommen zwei!“ vervollständigt. Die Dublette gelingt mir nicht. Nur die erste der beiden langschnäbligen Tänzerinnen wirft es aus ihrem gaukelnden Flug zu Boden. Ich nehme meine Beute in die Hand und streiche über das Gefieder. Dann rupfe auch ich mir die letzte Malerfeder des Tages.
Ob volles Beutenetz oder nicht – der Magie Schnepfenjagd tut dies keinen Abbruch. Foto: Michael Sand
Ein Jagdtag, wie ihn nur wenige Waidmänner erleben dürfen, geht zu Ende. Jeder Anreisekilometer hat sich für uns Nordmänner gelohnt. „Flick“ rollt sich im Auto ein. Seine Arbeit für heute ist getan. Wir werden morgen weiterjagen und auch zukünftig immer gerne zurückkehren nach Wales – dem Paradies für Schnepfenjäger.
Die Treiber (l. u. r.) mit dem schwedischen Schnepfenneuling Martin (Schießweste) und Berufsjäger Trevor Foto: Michael Sand
Schnepfenjagd in Wales
Wales: Mit rund 21000 Quadratkilometern ist es der kleinste Landesteil von Großbritannien. es liegt westlich von England, grenzt im Norden an die irische See, im Westen an den St. Georgs-Kanal und im Süden an den Bristolkanal. Im landesinneren zieht sich das Kambrische Gebirge fastdurch die gesamte Region. ansonsten ist die Landschaft von Wiesen, Mooren und hügeligem Gelände geprägt.
Schnepfenjagd: Wales zählt zu den wahrscheinlich weltweit besten Ländern für
die Jagd auf die „Dame mit dem langen Gesicht“. auch auf anderes Niederwild, wie Kaninchen, Fasan, Enten und Raubwild, wie den Fuchs, kann hier gejagt werden. Die beschriebene Jagd fand auf Privatbesitz im Januar statt.
Ausrüstung: Da das Wetter in Wales häufig wechselt, sollte auf regenfeste Kleidung Wert gelegt werden. Wasserfestes Schuhwerk oder Gummistiefel sind unerlässlich.
Waffeneinfuhr: Alle Jagdreisenden aus Ländern der Europäischen Gemeinschaft müssen im Besitz eines gültigen europäischen Feuerwaffenpasses (efp) sein. außerdem muss eine „Visitor‘s Shotgun permit“ beantragt werden. Weitere informationen finden sich im Internet unter: ukingermany.fco.gov.uk/de in der Rubrik häufig gestellte Fragen. Die Britische Botschaft in deutschland erteilt weitere Auskünfte