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Federn lesen

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ALTERSBESTIMMUNG BEI SCHNEPFEN

Es gibt Flugwild, bei dem der Altersunterschied leichter festzustellen ist als bei der Waldschnepfe. Doch ganz so schwierig ist es nicht. Man muss nur wissen, wie man in den Federn liest.

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Foto: Guido Wentein

Die Altersbestimmung von Schnepfen scheint auf den ersten Blick schwierig, wenn nicht sogar unmöglich zu sein. Schließlich lässt sich bei diesem Flugwild noch nicht einmal das Geschlecht am Federkleid bestimmen. Und schon gar nicht, wenn sie im rasanten Zickzack-Flug über den Jäger hinwegstreicht.

Allerdings haben in jüngster Vergangenheit französische, englische und russische Wissenschaftler dank modernster Technik das bisher geheimnisvolle Leben der Waldschnepfe etwas transparenter gemacht: Mit Satellitensendern ausgestattete Schnepfen werden Tag und Nacht überwacht, und mittels Isotopenanalyse der Federn kann das Brutgebiet sogar bis auf wenige Kilometer exakt bestimmt werden.

Die Forscher haben dabei auch herausgefunden, dass man Alt- von Jungwild an verschiedenen anatomischen Merkmalen unterscheiden kann: Nicht nur an der Verknöcherung des Schädels sieht der Experte den Unterschied, sondern auch am Vorhandensein, beziehungsweise am Fehlen der „Bursa von Fabricius“: Bei der Waldschnepfe ist dieses Organ bis zu einem Alter von vier bis fünf Monaten vorhanden. Es hat die gleiche Funktion wie der Thymus bei jungen Säugetieren und produziert BZellen oder Lymphozyten, die eine wichtige Rolle im Immunsystem spielen. Für den Jäger ist diese Tatsache nicht wirklich geeignet, um das Alter seiner Jagdbeute zu bestimmen. Müsste er dazu doch schon mehr als durchschnittliche anatomische Kenntnisse haben.

Wesentlich praktikabler scheint es – wie bei anderen Flugwildarten auch – das Alter anhand der Mauser gewisser Federn abzulesen. Bei der Waldschnepfe müssen dabei allerdings drei Aspekte beachtet werden:

1. „Alte“(adulte) Stücke, die älter als ein Jahr sind, mausern alle Federn, bevor sie ihren Herbstzug antreten. In der Praxis bedeutet dies, dass an einer im Herbst erlegten Waldschnepfe keine „alten“ Federn mehr zu finden sind.

2. „Junge“ (juvenile) Waldschnepfen im ersten Lebensjahr mausern vor dem Herbststrich nur teilweise. Die Mauser und das Streichen verbrauchen viel Energie. Logisch ist somit, dass das Stück mit der Mauser zeitweilig aufhört, wenn es den Zugweg antritt. Wer also im Herbst eine Schnepfe erbeutet, findet im Jung-Federkleid noch eine Mischung aus „alten“ und „neuen“ Federn.

3. Nicht alles Jungwild ist gleich alt. Die ersten Schnepfen schlüpfen bereits Ende April bis Anfang Mai, die letzten erst Anfang August. Dieser Unterschied spiegelt sich in der Mauser wider und erschwert die Altersbestimmung erheblich.

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Ein Blick auf die Schwinge gibt Hinweise auf das Alter der Schnepfe. Foto: Guido Wentein

Sind die großen Armdeckfedern in der Zone 1 (siehe Abb. Altersbestimmung an den Schwingen ) auf der Schwingenoberseite noch nicht oder nur teilweise gemausert, handelt es sich um einen jungen Vogel im ersten Lebensjahr. In diesem Fall werden einige große Armdeckfedern kürzer sein als die anderen. Außerdem sind sie eher rostfarben. Recht deutlich wird der Unterschied, wenn man diese Federn eines absolut sicher erkannten jungen mit denen eines alten Vogels vergleichen kann.

Am besten untersucht man eine Schwinge, indem man zunächst die Federn glättet. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Federkiele und -spitzen glatt und parallel nebeneinander liegen. Der Abnutzungsgrad der Handschwingen- Spitzen lässt sich hervorragend erkennen, wenn die gespreizte Schwinge etwa 30 Zentimeter weit vor dem Auge gegen das Licht gehalten wird.

SCHNEPFEN

Die berühmte „Malerfeder“ ist eigentlich die erste Handschwingenfeder. Am ehesten abgenutzt werden vor allem die zweite, dritte und vierte Feder der Handschwinge. Zuweilen sehen diese regelrecht ausgefranst aus, vor allem bei jüngeren Schnepfen, deren Federn noch sehr weich sind. Dies liegt daran, dass diese großen äußeren Federn beim Abstreichen aus der Deckung mit Zweigen und Dornen in Kontakt kommen. Aber auch im Flug werden sie durch die Luftreibung abgenutzt.

Die Handschwingenfedern älterer Stücke sind wesentlich härter und widerstandsfähiger und nutzen sich demnach weniger schnell und vor allem regelmäßiger ab. Folglich sieht man im Herbst bei alten Schnepfen weniger abgenutzte Spitzen der Handschwingenfedern. Trotz des langen Zugweges von manchmal zwischen 2000 bis 4000 Kilometern ist der Verschleiß nur gering.

Auf den Punkt gebracht: Bei Jungwild sind die Spitzen der primären Handschwingenfedern eher unregelmäßig zerfasert. Bei früh geschlüpften Schnepfen oder jenen mit dem längsten Zugweg ist die Abnutzung sehr deutlich erkennbar.

Auch die Handdeckenfedern der Schwingenoberseite (Zone 3, Abb. Altersbestimmung an den Schwingen) liefern Informationen über das Alter. Der wesentliche Punkt dabei ist der Saum am Ende der Federn. Bei adultem Wild ist er im Allgemeinen bis zu einem Millimeter schmal und bildet mit seiner weißlichen Farbe einen deutlichen Kontrast zu den anderen Farben des Gefieders. Bei Jungwild ist der Saum eher breit (bis 2 mm) und bräunlich. Dadurch unterscheidet er sich kaum von den anderen Flügelflecken. Die Aussagekraft der Federsäume ist aber nicht immer hoch, weil Zwischenformen, wie bräunlich-schmale oder weißlich-breite Säume, existieren.

Die Unterarm-Deckfedern der Schwingen-Unterseite (Zone 4, Abb. Altersbestimmung an den Schwingen) zeigen bei alten und jungen Schnepfen eine unterschiedliche Form. Sind sie eher spitz und braun, handelt es sich um ein junges, diesjähriges Stück. Bei einer adulten Schnepfe sind diese Federn eher flach abgerundet und hellgrau. An der Unterseite der fünften bis siebten Handschwingenfeder (Zone 5) kann auch der Laie den Altersunterschied relativ einfach feststellen. Bei einem Jüngling sind diese Federenden kugelrund (konvex), bei alten Waldschnepfen eher hohlrund (konkav).

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Durch Reibung mit der Luft und Kontakt mit Ästen nutzen sich die großen Handschwingenfedern 2, 3 und 4 am ehesten ab. Foto: Jacky Bernard

Um zu einem relativ aussagekräftigen Urteil zu kommen, sollte man alle Mauser- beziehungsweise Federmerkmale betrachten. Mit Sicherheit ist dieser Blick ins „kleinste Detail“ sehr gewöhnungsbedürftig und gewiss nicht einfach. Aber auch hier gilt: „Übung macht den Meister“. Kaum ein Federwild ist so legendär und ebenso geheimnisvoll wie die Waldschnepfe. So hat die Wissenschaft bis heute kein äußeres, sekundäres Geschlechtsmerkmal gefunden, dass auf den ersten Blick Hahn und Henne zu unterscheiden hilft. Bei erlegtem Wild ist dies hingegen relativ einfach: Beim Ausweiden findet man schnell die Hoden oder den Eierstock. Eine relativ neue wissenschaftliche Erkenntnis ist auch, dass man die Geschlechter mittels Blut-Analysen im Labor unterscheiden kann.

Akkustisch kann der Schnepfenhahn im Frühjahr/Frühsommer an seinem quorrenden piependen Balzruf perfekt von der stummen Henne unterschieden werden. Ist aber die Balz vorüber, verstummt auch er und ist im Flug nicht mehr zu identifizieren. Schnepfen sind und bleiben geheimnisvolle Wesen, auch wenn die Wissenschaft schon viele Geheimnisse dieses kleinen Flugwildes aufgeklärt hat. Mithilfe modernster Satellitentechnik hat man bereits detaillierte Einsichten in Brutplätze, Zugwege, Geschwindigkeit des Zuges, Winterquartiere Lebensrhythmus und Alter bekommen.

Nicht alles Jungwild eines Jahres ist gleich alt – Schnepfenküken schlüpfen zwischen Ende April und Anfang August.

Trotzdem aber – und zum Glück – ist die Magie der Schnepfe geblieben. Ob bei der stimmungsvollen Frühjahrbalz oder als unerwartete Beute auf der herbstlichen Niederwildjagd und selbstverständlich auch als kulinarischer Hochgenuss!

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Der Schnepfenflügel ist ein offenes Buch zur Altersbestimmung.

Testen Sie sich selbst!

Welche Merkmale sind die eines jungen oder alten Vogels? Die Lösung steht am Ende.

Fotos: aus La BÉcasse des Bois

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A: Geringe Abnutzung an der Spitze der 2. Handschwingenfeder
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A: Saum der Armdeckenfedern breit und bräunlich
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A: Unterarmdeckenfedern spitz, Farbe nicht eindeutig
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A: Handschwingenfederspitzen eher konvex
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B: Keine Abnutzung an den Handschwingenfedern
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B: Saum der Armdeckenfedern schmal und weißlich
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B: Unterarmdeckenfedern flach abgerundet, hellgrau
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B: Handschwingenfederspitzen eher konkav

Lösung: A: junge Schnepfe; B: alte Schnepfe

LA BÉCASSE DES BOIS – Histoire naturelle

In Frankreich werden jährlich etwa zwei Millionen Schnepfen erlegt – die höchste Landes- Strecke dieses Federwildes in Westeuropa. Viele französische Jäger haben sich auf die Schnepfenjagd spezialisiert. Reine „Schnepfenzeitschriften“ findet man an jedem französischen Kiosk. Mit britischen und russischen Kollegen haben französische Wissenschaftler die Schnepfe intensiv untersucht und dabei viele neue Erkenntnisse gewonnen. Die Autoren Yves Ferrand und François Gossmann haben mit diesem Buch eine interessante Monographie mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Waldschnepfe geschaffen. Für Jäger und nichtjagende Naturfreunde, die die Muttersprache Voltaires beherrschen, ein spannendes, modernes und absolut lesenswertes Werk. Für diejenigen, die sich mit dem Französischen schwertun, bleibt nur zu hoffen, dass dieses hervorragende Buch auch in deutscher Sprache erscheint.

Guido Wentein

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