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Das Schneehuhn-Experiment

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Das Schneehuhn-Experiment

Thore Wolf

MIT HUNDEN IN SCHWEDEN
„Eignet sich der englische Fieldtrialhund als vielseitiger Gebrauchshund für die deutsche Jägerpraxis?“ fragte Hegewald 1881. Knapp 130 Jahre später kehrt Hundeexperte Sascha Schmitt die Frage um und stellt sich mit seinen Vollgebrauchshunden einem Vergleich mit Irish-Settern.

Kalter Ostwind bläst Jägern und Hunden ins Gesicht. Im vollen Galopp sucht Irish-Setter-Rüde „Kuling“ das Gelände vor den Jägern ab. Binnen Sekunden ist er hinter einer Bergkuppe zur Rechten entschwunden, taucht nach wenigen Minuten plötzlich wieder auf, jagt jetzt zur linken Seite. Im Nu hat er in einer blitzsauberen, aber weiten Suche ein riesiges Areal der schwedischen Wildnis abgesucht. Die dreiköpfige Jagdkorona bekommt inzwischen den roten Iren immer seltener zu sehen. Der Arbeitseifer und die Tiefe seiner Suche lassen „Kulings“ Alter in keinster Weise erahnen. Der Setter steht bereits im elften Feld! „Auf was haben wir uns hier nur eingelassen?“, seufzt Sascha beeindruckt und tätschelt mit leicht verunsichertem Grinsen seine beiden Kurzhaar-Hündinnen, die ihm an der Koppel folgen. „Ich habs gewusst, wir werden uns heute noch ganz schön blamieren …“

Schon am Vorabend im Kaminzimmer der Jagdvilla wuchs Saschas Unsicherheit: Wie werden sich seine deutschen Vollgebrauchshunde im Vergleich mit den britischen Spezialisten schlagen? Mit deutschen Revieren ist die Jagd hier in Jämtland kaum zu vergleichen. Der Transport ins unwegsame Revier erfolgt per Helikopter. Wie werden die Vierläufer auf den Donnervogel reagieren? Werden sie überhaupt einsteigen? Schneehühner kennen die Kurzhaar-Jährlinge ebenfalls nicht. Werden sie die Raufußhühner finden und vorstehen? Zudem arbeiten die Hündinnen zu Hause auch an Schalen- und Raubwild, werden als Berufsjägerhunde auf Nieder- und Hochwildjagden geführt. Was, wenn sie in der Taiga auf Rentiere, Elche oder Vielfraße stoßen?

Von der HZP direkt zur Schneehuhnjagd nach Schweden: Die Deutsch-Kurzhaar-Hündinnen „Isa vom Kalkrieser Berg“ (l.) und „Clementine Contiomagus“

Fragen über Fragen. Und dann auch noch das: Beim Essen ließ es sich Jagdveranstalter und Revierinhaber Johan Persson nicht nehmen, von den Erfolgen seines Hunde-Gespannes, das er extra aus Norwegen bestellt hat, zu schwärmen. „Runes Setter ‚Kuling‘ ist der höchstdekorierte Vorstehhund Norwegens! Er hat alle Prüfungen mit Bestnoten abgeschlossen, die ein Setter in Skandinavien absolvieren kann.“

Endlose Weite: Sascha Schmitt verfolgt die Suche des Setters mit der Kamera.

Spätestens jetzt im Jagdgebiet bestätigt der betagte Rüde diese Leistungen und zerschlägt damit alle Vorurteile gegen die vermeintlich nervösen und flüchtigen britischen Hochwindnasen. Sascha ist begeistert von der Arbeit des Setters: „Man könnte meinen, er will ganz Schweden an einem Tag absuchen!“, witzelt er anerkennend. Mittlerweile haben die Jäger den Vierläufer völlig aus den Augen verloren und kommen in dem anspruchsvollen Gelände nicht mehr schnell genug hinter ihm her. Aber dafür trägt „Kuling“ ein Ortungshalsband. Immer wieder verfolgt Rune die Route seines Hundes auf dem Empfangsgerät und weist seinen Mitjägern die Richtung, in die sie gehen müssen.
Die beeren- und moosbewachsenen, klatschnassen Böden verlangen ihnen dabei einige Kondition ab. Bei jedem Schritt sinken die Füße bis zum Knöchel ein. Zusätzlich werden neben Flinten auch noch Proviant und Wechselkleidung im Rucksack mitgeführt. Und trockenes Brennholz für ein Feuer zur Mittagspause im Fjell.

Irish-Setter „Kuling“ ist sein betagtes Alter nicht anzusehen. Er jagt wie ein junger Hund, aber steht bereits im elften Feld.

Plötzlich hebt Rune die Hand. Das Ortungsgerät meldet keine Bewegung des Hundes mehr. „Er steht“, ruft er den Jagdgefährten zu und deutet dort hin, wo ihm der Sender den Hund anzeigt. Ganze 600 Meter ist der alte Setter noch von den Jägern entfernt. „Na dann los“, sagt Sascha voller Tatendrang. „Nur mit der Ruhe“, entgegnet ihm der Norweger. „Wenn ‚Kuling‘ steht, dann steht er. Wir haben genug Zeit.“ In lockerer Streife gehen die Jäger los. Rune dirigiert sie in die richtige Richtung. Kurz vor der Anhöhe deutet der norwegische Hundeführer, langsam zu machen. Als die Jäger über den Grad sehen können, entdecken sie den Rüden. Ein herrlicher Anblick für jeden passionierten Hundeführer: In bester und typischer Settermanier steht der Rote bombenfest vor, was mehr einem „Vorliegen“ ähnelt. Er macht sich lang und flach, um die Nase möglichst weit nach unten zu bringen – und das schon seit mehr als 15 Minuten! „Nicht, dass er am Ende noch einen Vielfraß vorsteht“, scherzt Sascha. „Ach was“, sagt Rune, „da wäre er eher weggerannt.“ „Und meine würden ihn packen“, kommentiert der Berufsjäger schmunzelnd.
Aber es sind tatsächlich Hühner. Kurz kann man sie vor dem Hund laufen sehen. Nun soll Sascha sein Glück versuchen. Auch dieses Prozedere ist anders als in Deutschland. Der Führer, dessen Vierläufer gerade arbeitet, überlässt das Schießen den anderen Jägern, um sich voll und ganz auf seinen Hund konzentrieren und eingreifen zu können, falls er einspringen sollte. Rune und Sascha nähern sich langsam dem Vorsteher, der inzwischen im Zeitlupentempo immer häufiger nachzieht. Ein deutliches Zeichen, dass die Hühner jeden Moment aufsteigen können. Kaum sind die Jäger auf Schussdistanz ran, purren fünf Schneehühner davon. Saschas Flinte gleitet an die Schulter. Mit zwei schnellen Schüssen pflückt der deutsche Jäger eine Schneehuhndublette aus der Luft, während seine beiden Hündinnen „Isa“ und „Clementine“ völlig ruhig an seiner Linken verharren.
Die Freude über die erste Beute ist groß. Ebenso die gegenseitige Bewunderung der beiden Hundeführer für ihre Vierläufer. Sascha ist angetan von der Arbeit des
Setters und Rune von der Standruhe der Kurzhaar-Hündinnen und ihrem anschließenden
sauberen Apport der Vögel, den er gerne ihnen überlassen hat. Später gesteht Rune seinem deutschen Kollegen, dass Apportieren nicht gerade die Stärke seiner beiden Setter ist. Nach einer kurzen Pause sind Saschas Hunde dran. „Oha“, seufzt der gebürtige
Saarländer und schnallt seine braune Hündin „Clementine“. Wissend, dass der Setter die Latte der Anforderungen jetzt nochmal höher gelegt hat, steigt ein wenig sein Lampenfieber.

Grund zur Sorge hat der Hundemann aber nicht. Denn seine Vierläufer sind bestens vorbereitet, haben vor kurzem erst die Herbstzuchtprüfung mit je 196 Punkten als Suchensieger abgelegt. „Clementine Contiomagus“ sogar erst vor weniger als 48 Stunden. Direkt nach der Prüfung ging es mit den Hündinnen per Auto auf den 2 000 Kilometer langen Weg nach Schweden. Und die Bedenken wegen des Helikopterfluges haben sich auch in Luft aufgelöst. Am Morgen stiegen „Isa“ und „Clementine“ in den Donnervogel, als hätten sie dies schon tausend Mal getan.

Abwechselnd kommen die Kurzhaar-Hündinnen zum Einsatz. Links: „Isa“ steht Wild vor, das die Jäger fehlen werden. Oben: „Clementine“ auf einem Suchengang.

„Clementine“ ist voller Arbeitsfreude und sucht stilvoll die Heidekrautflächen vor den Jägern ab. In großen Fluchten jagt sie seitwärts davon. 70 Meter, 80, 90, 100. Plötzlich wird die Kurzhaardame langsamer, bleibt schließlich stehen. Sie dreht den Kopf zu Ihrem Führer, zieht die Behänge hoch und schaut, als wollte sie fragen: „Chef, wie weit denn noch? Wo ist denn hier die Ackerkante?“ Aber die gibt es hier in der menschenleeren schwedischen Wildnis nicht. Auf Saschas Kommando „Voran“ setzt der Vierläufer seine Suche wieder fort. Nach wenigen Metern wendet er und sucht sauber weiter. „So ist sie das eben gewohnt“, erklärt Sascha Rune. Schließlich ist sie ausgebildet und eingejagt für deutsche  Revierverhältnisse. Dort soll sie unter Führerkontakt von Feldrand zu Feldrand suchen. Man erkennt deutlich, wie sich die gut abgeführte Hündin nun etwas schwer damit tut, aus diesem „Korsett“ auszubrechen und ihre Führigkeit über Bord zu werfen.
Die weiträumige, selbstständige Suche des Setters, die hier absolut notwendig ist, um möglichst viel Gelände abzusuchen, wäre in Deutschland absolut unbrauchbar. Im Nu
hätte ein solcher Vierläufer durch drei Reviere gesucht.

Hier in Skandinavien erhöht eine so weitläufige Suche in Tiefe und Breite jedoch die Chance, überhaupt an Wild zu kommen. Denn die kleinen Raufußhühner sind in der schwedischen Taiga nicht so dicht gesät, wie man es aus gut besetzten Fasanenrevieren kennt. „An guten Tagen schafft man es, acht Stücke zu erlegen. aber das ist die Obergrenze“, erläutert Jagdveranstalter Johan Persson. Im Laufe des Tages wechseln sich die beiden Hundeführer und ihre Vierläufer immer wieder ab. Mal sucht einer der Setter, mal eine der Kurzhaar-Hündinnen. Mit jeder neuen Suche wagen sich die zwei deutschen Vollgebrauchshunde weiter. Am Ende des Tages suchen sie fast genauso weit wie der Setter, ohne den Führerkontakt zu verlieren. Noch zwei Mal kommen „Isa“ und „Clementine“ an Wild, aber die Jäger fehlen das flinke Flugwild. Am zweiten Jagdtag sind Saschas Zweifel verflogen. Doch das Wetter hat sich verschlechtert. Dunkle Regenwolken und Nebelwände machen sich über den Höhenzügen breit. Es beginnt zu nieseln. Hier und da bricht die Herbstsonne noch durch die Wolkenlücken und taucht die schwedische Heidelandschaft in ein besonders Licht. Johan schlägt vor, etwas tiefer zu jagen. Er vermutet, dass sich die Schneehühner bei diesem Wetter in die milderen Tallagen verziehen: „Momentan sind die Grouse in der Mauser und wechseln ihr braun-buntes Sommergefieder zum weißen Winterkleid, dann haben sie es nicht so gerne kalt.“
Der erste Suchengang gehört wieder „Kuling“. Kaum geschnallt, prescht dieser davon und ist hinter dem nächsten Bergrücken verschwunden. „Was macht er denn jetzt?“, fragt
Sascha völlig entgeistert. Aber dem erfahrenen Hundemann wird sofort klar, was passiert ist. Der Wind hat gedreht und weht konstant in die Richtung, in die sich die Jäger bewegen.
Rune bestätigt diese Vermutung und zeigt ihm die Hunderoute auf dem Display seines Ortungsgerätes: „Schau hier, der Hund läuft jetzt ein ganzes Stück mit dem Wind davon,
um dann gegen den Wind auf uns zu zu suchen.“ Nach etwa einer Viertelstunde ist der Setter am Horizont zu sehen. Rune hatte Recht. Noch bevor der Setter auf Höhe der Jäger ist, ermuntert Johan Sascha, eine seiner Hündinnen ebenfalls zu schnallen: „Zwei Hunde erhöhen unsere Chancen.“ Gesagt, getan. Während sich die Jäger dem Seitental nähern,
wird auch „Isa“ geschnallt. Zunächst folgt die Hündin noch ihrem norwegischen Kollegen, findet aber bald ihren eigenen Weg. Jetzt heißt es dranbleiben.Die deutschen Allrounder haben sich nun in ihrer Arbeitsweise vollkommen an die schwedischen Verhältnisse
angepasst. Von Schneehühnern aber keine Spur. Das Wetter verschlechtert sich über Mittag deutlich und wechselt permanent. Es regnet, danach bläst kalter Wind. Für Augenblicke strahlt die Sonne, dann wieder Regen. Allmählich ist das Gehen in dem unwegsamen Gelände eine echte Herausforderung. Für Jäger und Hunde gleichermaßen.

In nur zwei Jagdtagen haben sich die DKHündinnen den schwedischen Verhältnissen angepasst und gehen genauso weit wie der Setter – laut Ortungsgerät mehrere Hundert Meter (l.).

Kurz bevor Johan aufgrund des unkalkulierbaren Wetters abbrechen und den Hubschrauber ordern will, steht „Isa“ noch einmal vor. Zwei Schneehühner steigen auf und streichen direkt vor Johans Flinte ab. Eines fällt getroffen zu Boden.
„Harte Arbeit, karge Strecke“, lautet wenig später Saschas Kommentar. Dennoch ist er begeistert: „Wer die Arbeit mit dem Vorstehhund liebt, kommt hier voll auf seine Kosten. Da ist die Strecke absolut zweitrangig. Man sieht, zu welchen Leistungen Vorstehhunde in der Lage sind und wie schnell sie sich völlig neuen Gegebenheiten anpassen können.“
Aber einen Zweifel hatte der Revierjagdmeister am Ende doch noch: „In wenigen Tagen soll ‚Clementine‘ die Solms-Prüfung des Deutsch-Kurzhaar-Verbandes laufen. Hoffentlich wird sie dort nicht ihren neu erlernten schwedischen Suchenstil zeigen.“ Aber die Furcht sollte umsonst gewesen sein. Auf der Solms brillierte die Hündin ebenfalls. In einem Ia-Preis und einem 4h in der Suche wurde sie Suchensieger.

Nach der Jagd im Hubschrauber: Dass die Vierläufer keine Angst vorm Fliegen haben, freut den Hundemann.

Informationen zum Jagdgebiet unter fjelljakt.se
Fotos: Thore Wolf


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