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Die Zeichen deuten

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Pirschgang
Foto: Helge Schulz

ROTWILD
Ein alter Hirsch lässt sich auch bestätigen, ohne ihn in Anblick zu haben. Wildmeister Konrad Esterl zeigt, auf was er beim Pirschgang achtet.

„Wird die Eberesche rot, kommt des Hirsches Tod“. Nach einem Pirschgang zur Hofer Hölle, es war ein fester Einstand der Kolben- und dann später der Feisthirsche, leuchtete mir die helle, frische Schlagstelle an einer Eberesche entgegen. Jedes Jahr kamen bis zu 25 Feisthirsche in diesem sehr ruhigen Einstand zusammen und hinterließen ihre zum Teil pratzengroßen Fährtenabdrücke. Vorsichtig pirschte ich zu einem Felsriegel und schob mir, mit Blick zur Salzlecke, den Filzfleck unter den Spiegel. Immer wieder prüfte ich den Wind mit dem Bovisten. Der Bergwind stand mir steif ins Gesicht, da steinelte es oberhalb. Der „Prinzregent“, ein ungerader Sechzehner, zog durch das Kraut. Kurz darauf stand sein
Halbbruder, der „Kronprinz“, auch zur Salzlecke. Während der „Prinzregent“ bereits verschlagen hatte, an manchen Stellen der Wehr schimmerte es blutrot von den Kronenenden, lagen die Stangen des „Kronprinzen“ noch unter der eingetrockneten
Basthaut. Immer wieder schüttelte er sein von lästigen Fliegen umschwirrtes Haupt.
Auf einmal stand ein weiterer Hirsch neben der Stocksulze. Es war ein mittelalter
Zwölfer, dessen Stangen sich noch unter der dicken Bastschicht befanden. Dann zog der „Kronprinz“ zu einer einzelnen Latsche und begann, sich den Bast vom Geweih zu schlagen.
Bis in die oberste Verästelung des Bäumchens reichten seine langen Stangen. Bastfetzen hingen herunter, und ich beobachtete, wie sie in seinem Äser verschwanden. Hellrot
schimmerte das frische Geweih, ehe die Hirsche in der Fichtendickung verschwanden.
Von dort hörte ich noch das Plätschern aus einer der Suhlen, wo die Hirsche Kühlung suchend eingezogen waren. Noch zwei jüngere Basthirsche trollten mit hoch erhobenem Haupt zur Suhle – verfolgt von einem Schwarm Fliegen. Irgendwann hatte der Bergwind gedreht. Die Neugierde trieb mich zur Salzlecke und zur frischen Schlagstelle an der Latsche. Weit reichte das Himmelszeichen der langen Stangen, fast bis zu den Latschenspitzen. Es bestätigte sich, was man mir in meiner älteren Hirsche verschlagen früher als die jungen. Immer wieder entdeckte ich neue Schlagstellen, ehe ich mich zu den Grabensuhlen runterzwängte. Am Rand der größten standen die Fährtenabdrücke meiner Schutzbefohlenen. Auch hier konnte ich meine Lehren ziehen: Bei diesem Hirschtrupp
zog neben dem „Prinzregent“ und dem „Kronprinz“ noch ein älterer Vierzehner.
Bei den drei unterschiedlich alten Hirschen konnte ich am Fährtenbild ein deutliches Hinterlassen der Hinterläufe feststellen. Der Abdruck der Schalen deutete leicht nach außen. In Kombination ein untrügliches Zeichen des alten Hirsches. Nur sehr sporadisch führten mich meine Pirschgänge an diese Stelle. Ich wollte die sensiblen Feisthirsche nicht
vergrämen. Der Herbst war ins Land gezogen. Vom Höhenrücken der Angerleiten
hörte ich den ersten Hirsch in diesem Jahr schreien. Oberhalb der Waitzinger Alm hatte ich mir eine hohe Kanzel mit weitem Blick gebaut. Aus der steilen Fichtenkulisse kam ein tiefer Brummler zu mir rüber, als sich am Rande der Dickung ein dunkelroter Wildkörper durch den Steilgraben schob. Oberhalb von mir und dem Hirsch, es war ein bestens veranlagter junger Vierzehnender, brüllte im nächsten Augenblick eine tiefe, sonorige Löwenstimme
seine Wut durch den Graben zum Vierzehnender hinunter. Ich trenzte mit meinem Eifelruf zum Bergwald, als krachend ein mächtiger Wildkörper zu mir runterzog.
Dieser Hirsch schlug, mit heraushängender Brunfrute, eine einzeln stehende Fichte zuschanden, und dann fuhr er mit seinen Stangen durch den morastigen Boden. Der Hirsch hatte einiges an Gras und Fichtenäste im Geweih hängen. Dies war das klassische
Wimpelschlagen. Hier wurde mir wiederum klar, warum er das machte: Die Anhängsel ließen ihn wesentlich größer und protziger erscheinen. Es handelte sich hierbei um ein besonderes Imponiergehabe.

Wir übernachteten auf meiner Lieblingshütte. Von allen Bergseiten hörten wir die Hirsche. Mitten in der Nacht, es war kurz vor Vollmond, erzitterte die Hütte vom Urschrei der Löwenstimme. Hinter den bleiverglasten Fenstern warfen wir einen Blick zur Äsungsfläche. Unter einer Bergwaldfichte standen mit aufgestellten Lauschern mehrere
Stück Kahlwild. Auf und neben dem Steig zogen mit bösem Brummen und krachenden Stimmen zwei Hirsche im Paradegang nebeneinander her. Immer wieder fuhren die zwei zum Kampf bereiten Hirsche mit den Stangen in das Erdreich, schleuderten ruckartig Gras
und Erdreichfetzen durch die Luft, schlugen in die Äste der Randfichten. Stetig markierten sie ihre Urkraft mittels Wimpelschlagen. Dann ging es zur Sache. Krachend fuhren sich die zwei Kontrahenten mit den Stangen in die Parade und schoben sich über den Almboden. Auf einmal warf sich der jüngere Hirsch auf die Seite und stürmte, vom „Löwenhirsch“ verfolgt, davon. Noch mehrmals trenzte der Sieger seinen Siegesruf hinterher, ehe er sich
niedertat.

Nach ein paar Tagen pirschte ich mit einem Gast zum Hochleger, und das Unternehmen „Löwenhirsch“ begann. Wir entdeckten einige Schlagstellen, besonders an den Erlen konnten wir weit in die Höhe angebrachte Bschlachter (Schlagstellen) feststellen. Auch anhand der Trittsiegel konnte ich meinem Jagdgast die verschiedenen hirschgerechten Zeichen erklären:
Hinterlassen (älterer Hirsch) und Übereilen (jüngerer Hirsch), das heißt, die Hinterläufe überholen im Fährtenbild die Vorderläufe. Im Bett des niedergetanen Hirsches entdeckten wir dann noch den Schlosstritt, wenn er beim Hochwerden den Hinterlauf unter seinen Wanst schiebt, sowie den markanten Kreuztritt, fast wie ein Kreuz, der ebenfalls den älteren Hirsch verrät. Bereits beim Besteigen des Sitzes riefen die Hirsche. Als es langsam
dämmerte, drang aus dem Graben die Löwenstimme zu uns rüber. Im Grabenboden
stand Kahlwild und drängte zur Salzlecke. Ich intonierte den suchenden Hirsch. Kaum hatte ich den Eifelruf abgesetzt, donnerte uns der Hirsch mit der Löwenstimme seine  Kampfbereitschaft laut entgegen. Nun entwickelte sich ein interessantes Rufduell. Kampfruf auf Kampfruf rollte durch den Bergwald. Äste krachten, Steine kullerten. Immer wieder
schlug der Hirsch in die sperrigen Fichtenäste. Mit dem nasalen Mahnen des Alttieres und mit anschließendem Sprengruf hielt es der „Löwe“ dann nicht mehr aus. Mit schiefem Haupt, seine gewaltige Stimme nun sparsamer einsetzend, zog uns der Althirsch, jede
Deckung ausnutzend, entgegen. „Fertig machen!“, raunte ich. ln einer leicht verdeckten Schneise erschien zuerst das riesige Haupt, dann zog er über den Almboden. Mit dem
Kampfruf und dem Mahnen brachte ich den Hirsch zum Verhoffen, ehe es neben mir blitzte. Mit krummem Rücken und weit ausschlagenden Hinterläufen verschluckte die  Fichtenkulisse den Althirsch. Ich deutete dem Gast nur das Mundhalten zu, denn das Wild sollte Schuss und Menschenstimme nicht in Zusammenhang bringen. Erst an der Hütte
konnten wir uns wieder unterhalten und ich das nächste Vorgehen erklären. Ich wusste doch, dass meine Hündin „Hella“ die Sache ins Reine bringen würde. Am nächsten Morgen drängte sie zur Wundfährte. Schnitt- und Schlaghaare deuteten auf einen Pansenschuss
hin. Nach kurzer Zeit verwies die erfahrene Hündin etwas Schweiß. Lange hatten wir keine Pirschzeichen mehr entdeckt, da zeigte uns das gespreizte Trittsiegel, dass der Hirsch
schwer krank war und die Kontrolle über seinen Körper verloren hatte. Es ging durch einen schmalen Graben, an dessen Rand der Althirsch in würdevoller Pose verendet lag. Mit hocherhobenem Kopf verkündete „Hella“ Hirsch tot, Jagd vorbei und Halali.

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