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Wüstentauben

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FLINTENJAGD IN MAROKKO

Auf Turteltauben in Nordafrika zu jagen, ist der Traum eines Flintenjägers. Thore Wolf durfte ihn mit einer neuen Selbstladeflinte am Fuß des Atlasgebirges erleben.

Foto: Thore Wolf

Als der Schuss noch nicht verhallt ist, sprintet Aatif los, um die getroffenen Tauben zu bergen. Hunde werden in Marokko nicht eingesetzt. Sie gelten bei den Moslems als unreine Tiere. Jeder Jäger bekommt zwei Jugendliche auf seinen Stand, die Ausschau nach anstreichenden Tauben halten und die erlegten Stücke gegen ein kleines Trinkgeld bergen. Zielsicher steuert Aatif im dichten Gestrüpp auf die niedergegangenen Tauben zu. El Mahi, der zweite Gehilfe, reicht mir derweil weitere Munition, um die Flinte zu laden. Jetzt muss es schnell gehen, am Horizont halten bereits weitere Turteltauben auf uns zu, drehen aber in knapp 50 Metern Entfernung um. „Wait, wait“ , beruhigt mich El Mahi und signalisiert mir, dass dies gewiss nicht die letzten Tauben des Tages waren. Mein Blick verfolgt die fünf pfeilschnellen Wüstenflieger, die jetzt wieder beidrehen und in sicherer Distanz vor der Front der abgestellten Schützen vorbeistreichen. Im Wackelflug schwenken drei von ihnen bei einem meiner Nachbarschützen ein und schon knallt es wieder. Eine Taube geht zu Boden.

Während ich den Anblick genieße, reißen mich die aufgeregten Rufe meines Helfers aus den Gedanken. Wild gestikulierend zeigt er hinter mich. Tatsächlich: Ein großer Schwarm Turteltauben hält direkt auf uns zu, teilt sich in kleinere Grüppchen, die in alle Richtungen davonstreichen. Gleichzeitig kracht es rechts und links von mir. Jetzt ist es soweit. Zwei der flinken Flieger kommen genau auf mich zu. „Dublette“, denke ich, decke die erste Taube mit dem Flintenlauf ab. Im Schuss trudelt sie tödlich getroffen zu Boden. In Bruchteilen von Sekunden dreht die zweite Taube mit einem wilden Flugmanöver ab. Der zweite Schuss geht ins Leere. Der dritte fasst nach und lässt den Luftakrobaten die Schwingen beiklappen.

Turteltauben sind die heimliche Hauptwildart Marokkos. Im Frühjahr ziehen riesige Schwärme aus dem Senegal in das nordafrikanische Land. Im Spätsommer und Herbst streichen die bunten Vögel mit dem schwarz-weiß gebänderten Nacken und den rötlich braunen Schwingen von den Schlafbäumen auf die Maisstoppeln.

Zu Hunderten fallen sie jetzt an guten Spätsommertagen dort ein. Ihr unberechenbares Flugverhalten ist äußerst anspruchsvoll für den Jäger. Zudem sind sie deutlich kleiner als unsere heimischen Ringeltauben, was eine weitere Herausforderung für passionierte Flintenschützen ist.

Ein Himmel voller Tauben: Im Spätsommer fallen sie zu Hunderten auf den Stoppelfeldern ein. Foto: Thore Wolf

Gerade als die dritte Patrone ihren Platz im Röhrenmagazin findet, streicht ein riesiger Schwarm zu meinen Nachbarn. Die Schützen stehen völlig ungedeckt alle 50 Meter auf dem Stoppelacker. Die Tauben stören sich daran nicht. Ohne Unterbrechung knallen die Flinten aus allen Richtungen, und auch bei uns ist schon wieder Anflug. Links drei Stück, rechts
zwei und außerhalb der Flintenreichweite ein Schwarm aus schätzungsweise 60 bis 70 Tauben. Als Rechtsschütze entscheide ich mich für die beiden, die von rechts kommen. Gesagt, getan. Der erste Schuss verfehlt sein Ziel, der zweite ist erfolgreich. „Das muss besser werden!“, sinniere ich. Im Laufe des Morgens habe ich genügend Gelegenheit dazu, meine Schießkünste auf das ungewohnte Flugwild zu verbessern.

Das Flugverhalten der Turteltauben ist unberechenbar. Erst wenn sie nah genug sind, heißt es anbacken und schießen. Foto: Thore Wolf

Trotz des schier unzähligen Taubenbesatzes ist auch in Marokko die Tagesstrecke gesetzlich limitiert. Grund dafür ist der weltweite Protest von Jagdgegnern und Vogelschützern sowie der Politik der benachbarten Europäischen Union, wo die Jagd auf Turteltauben nach der EUVogelrichtlinie verboten ist. Da aber die Tauben in Marokko einen immensen Schaden an der Landwirtschaft anrichten, hat man einen Kompromiss gefunden. So darf jeder Jäger pro Tag maximal 50 Stück erlegen. Gejagt werden darf darüber hinaus nur von Freitag bis Montag.

Die marokkanischen Bauern lassen sich von der Jagd um sie herum nicht stören. Foto: Thore Wolf

Die besten Jagdgründe auf Turteltauben befinden sich rund um die alte Berberstadt Taroudannt mit ihrer einzigartigen, kilometerlangen Stadtmauer aus dem Mittelalter. Zu dieser Zeit wurde Marokko nicht zentral regiert. Die Bevölkerung bestand aus unterschiedlichen Sippen und Stämmen, die jahrhundertelang in Fehden und Kriegen lagen. Sinn und Zweck der Stadtmauer war somit der Schutz der Ansiedlung gegen verfeindete Stämme und Nomaden. Taroudannt gilt heute als „petite soeur“ – als kleine Schwester – von Marrakesch. Auf ihren belebten Souks (Märkten) werden allerlei orientalische Produkte angeboten. Gewürze, Obst, Schmuck und Holzwaren aus heimischem Zedern- oder Olivenholz. Das Jagdgebiet am Fuße des Atlasgebirges spiegelt all diese einheimischen Produkte wieder. Weite Stoppelfelder, auf denen Mais, Gerste oder Hirse bestellt wurden, wechseln sich mit leuchtend grünen Oliven- und Obstbaumhainen ab. Immer wieder durchziehen kleine Zedern- und Korkeichenwälder die staubtrockenen Felder. Aus dem gegenüberliegenden Zedernwäldchen steigen wie aus dem Nichts die nächsten Tauben empor. Ununterbrochen fallen Schüsse. Der Himmel ist voller Vögel. Hin und her flitzen die jugendlichen Jagdhelfer, um das erlegte Federwild einzusammeln. Mit Höchtsgeschwindigkeit hält einer der pfeilschnellen Vögel direkt auf mich zu. Schwalbengleich wippt sie nur knapp 30 Zentimeter über den Maisstoppeln hin und her. An einen solch flachen Schuss ist nicht zu denken. Überall auf den Stoppeln ist reger Betrieb. Aber die Bauern scheren sich nicht um die Jagd um sie herum. Gelassen sammeln sie inmitten der Schar aus Jägern, Helfern und Zuschauern liegengebliebene Maiskolben auf oder führen ihre Ziegenherden zum Wasser. Nur noch 60, 40, 20 Meter.

Wie ein Senkrechtstarter jagt die Turteltaube in den Himmel. Foto: Denis Leruse
Mitschwingen, überholen, abdrücken und die Schrote finden ihr Ziel. Foto: Denis Leruse
Tödlich getroffen geht der Wüstenflieger zu Boden. Foto: Denis Leruse

Plötzlich – knapp zehn Schritte voraus – steigt der flinke kleine Wüstenflieger wie eine Rakete in den Himmel. Die Browning gleitet an die Wange, das Laufbündel zieht nach, deckt die Taube ab. Während der Schuss bricht, nehme ich im Augenwinkel eine zweite wahr, die uns von hinten überfliegt. Sofort geht die Flinte wieder nach vorne, Schuss – und Taube Nummer zwei fällt zu Boden. Gerade als ich die Flinte absetzen will, ertönen wieder die Rufe der Helfer. Von rechts streicht in steiler Kurvenlage ein dritter Vogel heran. Schnell wieder angebackt und die Triplette ist perfekt.

„Hello Sir“, unterbricht eine Stimme meine Freude über das soeben Erlebte. Vor mir steht ein etwa 15jähriger Marokkaner in weißem Kaftan. In seiner Hand balanciert er ein Tablett mit kleinen bunten Teegläsern und einer typisch orientalischen Teekanne. „Moroccan whisky?“, fragt er in gebrochenem Englisch und reicht mir grinsend ein Glas des heißen Pfefferminztees. Natürlich alkoholfrei. Die Abkühlung tut gut. Aber viel Zeit bleibt nicht. Schon wieder sind mehrere Tauben im Anflug.

Zweieinhalb Stunden dauert die morgendliche Jagd. Waghalsige Flugmanöver der pfeilschnellen Vögel, herausfordernde Schusssituationen, das permanente Trommelfeuer der Flinten und der würzige Geschmack des feinen Wüstensandes auf den Lippen komponieren vor der Kulisse des mächtigen Atlasgebirges ein Erlebnis, wie es schöner nicht sein kann. 46 der wunderschönen Tauben liegen nach dem ersten Jagdtag in Reihen zu meinen Füßen. Nach zwei Tagen werden es 97 sein. Die Enkelin der legendären Auto 5 hat treue Dienste geleistet.

Die marokkanischen Jagdhelfer haben ihre Augen überall: Während sie die erlegten Tauben bergen, behalten sie stets den Luftraum im Blick. Foto: Denis Leruse

Das Jagdgebiet

Südwestlich des Atlasgebirges liegt Taroudannt. Die weitläufigen Felder rund um die alte Berberstadt bieten optimale Jagdmöglichkeiten auf Turteltauben. Vom Flughafen in Agadir ist Taroudannt etwa 90 Kilometer entfernt. Weitere Infos zur Taubenjagd in Marokko unter www.orchape.com

Turteltaube (Streptopelia turtur)

Foto: Bildagentur Schilling

Körperlänge: 26 – 28 Zentimeter,
Gewicht: etwa 160 Gramm
Gefieder: rotbraune Oberseite mit dunklen Flecken, typisch: schwarz-weiß gestreifter Halsseitenfleck. Bei den Turteltauben in Nordwestafrika handelt es sich um die Unterart „arenicola“, die insgesamt etwas heller und matter gezeichnet ist.
Zugverhalten: Im Frühjahr ziehen die Tauben vom Senegal mehrere Tausend Kilometer gen Marokko, brüten dort hauptsächlich in den küstennahen Regionen und ziehen im Spätsommer/Herbst wieder zurück. Ernährung: Samen, Getreidekörner und Pflanzenteile sind die Hauptnahrung. Gelegentlich fressen sie auch Insekten.

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