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Lampes Zukunft

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HASENFORSCHUNG

Der Feldhase ist eine der fruchtbarsten heimischen Wildarten. Dennoch sinken die Besätze kontinuierlich. Eine Prognose, wohin die Entwicklung bei Mümmelmann gehen könnte, gibt Dr. Thomas Gehle

Selbstverständlich kann es sich bei einer Wildart, die so klein ist, dass man die einzelnen Individuen schwer voneinander unterscheidet, […] nur um eine ungefähre Schätzung des Wildstandes handeln, die sich […] durch Beobachtung und Abspüren gewinnen lässt“, schreibt Carl Emil Diezel 1849 in seiner Abhandlung über den Hasen. Die Scheinwerfertaxation war damals noch unbekannt. Seit Mitte der 1970er Jahre jedoch ist sie eine gute und einfache Methode, um Hasen zu erfassen. Richtig durchgeführt, wird ab einer abgesuchten Offenlandfläche von etwa 200 Hektar der Besatz in der Regel nicht mehr als um zehn Prozent unterschätzt, maximal um etwa ein Drittel. Wenn man die Besätze über die Jahre so zählt, stellt man immer wieder fest, dass schon zwischen benachbarten Revieren die Hasendichten extrem unterschiedlich sein können. Dafür gibt es bislang nur eine Erklärung: Das unvorhersagbare Auftreten typischer Hasenkrankheiten.
Wir wissen recht gut, worunter Hasen leiden können: Bedeutend waren bisher vor allem European Brown Hare Syndrome (EBHS), Pseudotuberkulose (Yersiniose), Pasteurellose („Hasenseuche“), Staphylomykose und Kokzidiose sowie der Befall mit Magen- und Dünndarmwürmern. Wir wissen jedoch nicht, wann, wo und mit welchem Einfluss auf die Gesamtsterblichkeit diese Krankheiten auftreten. Generell sterben pro Jahr zwischen 60 und 90 Prozent aller gesetzten Junghasen. Da in der Regel über zwei Drittel eines Jahresbesatzes aus Junghasen bestehen, bestimmen die überlebenden Junghasen die Besatzgröße. Neben Krankheiten tragen vorallem Beutegreifer zur Gesamtsterblichkeit bei. Zudem sind kranke Hasen leichtere Beute. Die praktische Erfahrung sowie der europaweit erste Räuberausschlussversuch, den Harry Frank von der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung in Bonn (FJW) in den 1960er Jahren über zehn Jahre durchführte, aber auch Untersuchungen aus Polen, Südengland oder Niederösterreich haben uns gelehrt, dass bei intensiver Räuberkontrolle die Hasenbesätze sprunghaft wieder steigen. Geringe Besätze lassen sich allein dadurch in wenigen Jahren verdoppeln, ja sogar vervierfachen. Doch bleiben höchste Hasendichten nur den optimalen Lebensräumen vorbehalten.
Pro Jahr sterben zwischen 60 und 90 Prozent aller gesetzten Junghasen.
Neben der Feindvermeidung sind Hasen auf Vermehrung getrimmt. Sie beschäftigen sich 260 Tage im Jahr mit Paarung und Aufzucht. Rammler sind nur in den Monaten Oktober und November nicht sexuell aktiv, mit trächtigen Häsinnen ist schon im Januar zu rechnen. Erst
2008 wiesen Tierärzte um Kathleen Röllig und Thomas Hildebrandt in Berlin an gehaltenen Pärchen nach, dass Häsinnen trächtig werden können, obwohl sie noch trächtig sind. Überempfängnis (Superkonzeption) verkürzt die Tragzeit von 42 auf 38 Tage. Zehn Stunden nach der Paarung wird der Eisprung erneut ausgelöst. Bei den aktuell rund 2,3 Sätzen könnte eine fruchtbare Häsin rechnerisch maximal 17 Junge pro Jahr setzen. Anhand eines Beispiels lässt sich das daraus ableitbare Vermehrungspotenzial verdeutlichen: Nehmen wir für ein durchschnittliches Hasenjahr an, dass 80 Prozent aller Häsinnen sieben Junghasen setzen, von denen bis zum kommenden Frühjahr wieder 80 Prozent sterben und gehen davon aus, dass 30 Prozent aller Althasen ebenfalls im Folgejahr fehlen. Dann nähme der Hasenbesatz trotz dieser widrigen Verhältnisse um mindestens ein Viertel zu. Doch tatsächlich ergeben sich bei genauem Hinschauen kleinräumig sehr verschiedene Dichtemuster.

Von 2002 bis 2006 taxierten von der FJW betreute Jäger am Niederrhein auf 5 700 Hektar intensiv bewirtschaftetem Grünland über das Winterhalbjahr pro Revier vier Mal dieselben Flächen (siehe Grafik 1) – vor und nach der Treibjagd. Ergebnis: Rund ein Viertel des Herbstbesatzes wurde erlegt. Über alle Reviere nahm der Besatz um knapp ein Drittel zu. Diese Entwicklung erstaunt, wird doch in den Niederwildhochburgen seit Jahrzehnten darüber gemutmaßt, wie negativ sich die Grünlandwirtschaft vor allem auf die Junghasen auswirken müsse. In der Tat ist es kaum vorstellbar, dass Hasen fünf Schnitte pro Jahr überleben. Bei 14 Metern Arbeitsbreite schafft die Mähmaschine bis zu 50 Quadratmeter pro Sekunde. Feststeht auch, dass der Wiesenanteil zunimmt, da nicht mehr nur für Vieh, sondern auch für Biogasanlagen produziert wird. Darüber hinaus waren die Ergebnisse ein Lehrstück für den Jagdbetrieb. Obwohl der Hasenbesatz insgesamt signifikant zunahm, ging er in einem Revier zurück. In den vier Jahren wurden im Mittel 46 Prozent des Herbstbesatzes erlegt. Aus Studien ist bekannt, dass moderate Bejagung das Vermehrungspotenzial fördert.In der Schweiz wurde bereits vor über 20 Jahren auf einer Fläche von 150000 Hektar festgestellt, dass sich über zehn Jahre weder die Besatzentwicklung noch die Hasendichte zwischen bejagten und unbejagten Gebieten unterschied. Doch reagiert kaum ein Wild so sensibel auf Überjagung wie der Feldhase. Wird über Jahre mehr als ein Drittel des Herbstbesatzes entnommen, geht es bergab, selbst wenn in allen Nachbarrevieren die Besätze zunehmen, so geschehen im Projektgebiet. Bereits Diezel betont, es sei vom gezählten Herbstbesatz gedanklich „ein Drittel der Zahl von Hasen übrig zu lassen, die man am nächsten Tage zu erlegen rechnet“. Wenn es also hasentypisch ist, ständig mit einer Vielzahl von Krankheiten zu leben und sich fast täglich zu vermehren, müssen wir uns dann um ihn sorgen? Was sagen langfristige Trends? Was sagt uns die Zeitreihe der Jagdstrecken? Nehmen wir vereinfachend an, dass trotz der kleinräumigen Variation die erzielten Jagdstrecken die jährliche Besatzhöhe abbilden: Gibt es viele Hasen, werden auch viele erlegt und umgekehrt. Grafik 2.1 gibt einen interessanten Trend wider. Dargestellt sind die Streckenverläufe der letzten 35 Jahre der vier „Hasenländer“ Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen (NRW) und Bayern (schwarz) sowie zum Vergleich der Verlauf des hasenreichsten Landes NRW (rot). Man erkennt einen wellenartigen Verlauf, und zwar im 20-Jahres-Rhythmus, um 1987 und 2007 jeweils ein Streckenhoch und um 1979 und 1997 ein Tief. Bliebe dieser Rhythmus bestehen, wäre 2017 mit einem dritten Tief innerhalb von 40 Jahren zu rechnen!

Und noch ein Sachverhalt lässt sich am Streckentrend ablesen: Genau in dem Zeitraum (2001 bis 2005), als der Hasenbesatz im Projektgebiet um 27 Prozent zunahm, stieg die Hasenstrecke in NRW um 26, in allen vier Ländern um rund 20 Prozent an. Die Entwicklung auf Grünland entspricht damit dem damaligen Gesamttrend. Ein einfaches Modell erklärt den Trend (siehe Grafik 2.2): Die Vermehrungsrate liegt bei 145 Prozent des Frühjahrsbesatzes, und jedes Jahr sterben 60 Prozent des Besatzes. Dem Hasen geht es alle 20 Jahre gut oder schlecht. Mit Absicht wurden die Besatzgrößen so gewählt, dass sie den Jagdstrecken entsprechen (gelborange Zonen, schwarze Linie als Grenze der Lebensraum kapazität). Im Modell errechnen sich die Jahresbesätze allein aus dem jeweiligen Besatz vier Jahre zuvor (rote Punkte). Und so ungewöhnlich es erscheinen mag, verursacht der Besatz aus sich selbst heraus alle 20 Jahre Zu- und Abnahmen – unabhängig von Krankheiten, Witterung und Beutegreifern. Denn die Gesamtsterblichkeit ist konstant. Man nennt dieses Phänomen dichteabhängige Regulation. Natürlich zeigt die Grafik nur ein Modell. Doch es veranschaulicht, dass neben all den Unwägbarkeiten vor Ort große Populationen Schwankungen unterworfen sind, die nach allem, was wir aus Analysen zur Populationsdynamik wissen, allein durch das Wild selbst verursacht werden können. Sind damit Zu- und Abnahmen ganz natürlich? Sicher, doch macht dies eine Beurteilung der Zukunft nicht gerade leichter. Denn der Streckentrend weist genauso darauf hin, dass diese 20-jährigen Wellen in ihren Maxima nie wieder das Niveau der Vorperiode erreichen. Dieser Rückgang könnte allein dadurch erklärt werden, dass sich die Lebensbedingungen, etwa durch Flächenverlust und Monokulturen, verschlechtern.
Sexbombe Hase: Lediglich im Oktober und November kehrt Ruhe im Liebesleben der Feldhasen ein.
Bleibt zu hoffen, dass der Feldhase nicht mit derselben, bisher unbekannten Belastung zu kämpfen hat, wie es für den Fasan immer wahrscheinlicher wird. Geboten ist daher, wachsam zu bleiben. Denn es gibt, so Carl Emil Diezel, „immer noch optimistische Naturen, welche Unglaubliches von der schaffenden Kraft der Natur erwarten lassen und sich, wenn die Treibjagd nicht das erwartete Ergebnis liefert, den enttäuschten Gästen gegenüber darauf berufen, dass doch sonst dieser Revierteil so viel Hasen geliefert habe!“
Selbst bei intensiver Grünlandwirtschaft kann der Hasenbesatz zunehmen.
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