ANZEIGE

Musik für Maskenträger

6882

Rottumtaler Waschbärlocker
In Amerika wird den Waschbären schon lange erfolgreich mit Lockern nachgestellt. „Warum nicht auch in Deutschland?“, dachte sich Klaus Demmel und entwarf ein eigenes Instrument. Peter Schmitt

Heinz und Hedda waren der Meinung, dass von den „Typen“, wie Heinz die Waschbären liebevoll nennt, genügend in ihrem Revier im hessischen Bad Wildungen vorhanden seien. Der Termin zwischen Voll- und Halbmond passte theoretisch auch. Aber Petrus sollte es nicht gut mit der Lockjägergruppe, bestehend aus Klaus Demmel, seinem Sohn Andreas und dessen Freund Philipp, meinen. Noch am frühen Nachmittag ließen sie sich von ihren Gastgebern potenzielle Schlafplätze und Verstecke der Kleinbären zeigen: alte Eichen,
Schrebergärten und leer stehende Häuser am Stadtrand. In der Nähe sollte es am Abend auf die Waschbärjagd gehen. Mancherorts hat es in Deutschland schon den Anschein, dass diese Maskenträger den heimischen Rotfuchs bereits überholt haben und zur Hauptraubwildart geworden sind. Deutschland hat mittlerweile nach Nordamerika den zweithöchsten Besatz weltweit. Seit 1944 am Edersee (Hessen) zwei Pärchen ausgewildert wurden und 1945 circa zwei Dutzend aus einer Pelztierfarm in Wolfshagen (Brandenburg) entkamen, hat sich der Neubürger prächtig vermehrt. Streckenzahlen von fast 100 000 Kleinbären jährlich zeigen deutlich, wohin die Reise geht. So possierlich der maskierte Allesfresser auch erscheinen mag, er kann zu einer Gefahr für die heimische Fauna werden. Ob Sumpfschildkröte oder Schellente – nichts ist vor ihm sicher. Niststätten von Höhlenbrütern sind für den Kletterkünstler leicht erreichbar, ungesicherte Nistkästen öffnet er problemlos, und auch unter Wasser ist er flink. Sollte die Besatzentwicklung derart weitergehen, könnte das für manch bedrohte Tierart in Deutschland das Aus bedeuten.

Andreas inspiziert eine alte Eiche. Waschbären nutzen sie als Schlaf- und Ruheplatz.
An einem Bachlauf fiel der erste Waschbär, den Andreas (l.) und Philipp präsentieren.

Die Jagd auf das meist nachtaktive Raubwild vom Ansitz aus gestaltet sich aber nicht gerade einfach. Eine flächendeckende Fallenjagd wäre eventuell die einzige Möglichkeit, ihm Herr zu werden – bis jetzt. Denn da ist ja noch die Sache mit der Lockjagd. Sicherlich kein Allheilmittel – doch spannend und effektiv kann sie allemal sein. In Deutschland steckt das Waschbärlocken jedoch noch in den Kinderschuhen. In Nordamerika hingegen wird es schon lange mit großem Erfolg ausgeübt.
WuH-Lockjagdexperte Klaus Demmel hat die Lücke in Deutschland erkannt. Bei einem Besuch seines Bruders, der seit Jahrzehnten in den USA lebt und jagt, hat sich schnell herausgestellt, was für ein Potenzial im „Coon Calling“ steckt. Zwar sieht die Welt im dicht besiedelten Deutschland etwas anders aus als in Übersee, wo die Lockjagd meist am hellen Tage ausgeübt wird. Dennoch kann vieles bei uns übernommen werden. Nach zahlreichen Gesprächen mit amerikanischen Profis war sich Demmel sicher: Das muss auch in Deutschland funktionieren. Die richtige Lock-Methode zu finden, war das eine, den passenden Locker dazu parat zu haben, das andere. Auf dem amerikanischen Markt gibt es unzählige Waschbärlocker. Nach den gesammelten Erfahrungen bei der Jagd in den USA und vielen Tipps dortiger Lockprofis stand fest, dass drei Dinge entscheidend sind: Das Instrument muss leicht bedienbar sein, die Stimme passen und – da es der Waschbär laut mag – einen ordentlichen „Sound“ haben.

Selbst in Übersee gibt es nur wenige Modelle, die diese Kriterien erfüllen. Das war für Demmel der Anstoß, in seiner Rottumtaler-Wildlocker-Werkstatt ein eigenes Instrument zu bauen. In enger Zusammenarbeit mit US-Experten wurden die ersten Prototypen entwickelt. Nach monatelangen Testphasen und dem entsprechenden Feintuning konnte sich das Ergebnis hören lassen.
Während beim Fuchsreizen Beutetiere nachgeahmt werden, sind es beim Waschbärlocken arteigene Laute. Zwar reagieren einige der Maskenträger auch auf die Vogel- und Kaninchenklage, doch meist wesentlich zurückhaltender als Reineke. Im Gegensatz zum Fuchs ist der Neozoon extrem neugierig, futterneidisch und lebt oft gesellig. Selbst männliche Bären gehen oft in kleineren Trupps auf Beutezug. Um Waschbären zu locken, genügen zwei verschiedene Lautäußerungen. Einerseits das Geschrei, wenn die erwachsenen Allesfresser um Futter streiten, andererseits der weinerlich klingende Kommunikationslaut. Denn die Kleinbären leben sozial und „reden“ miteinander. Der neu entwickelte Locker von Klaus Demmel wurde so gebaut, dass beide Lautäußerungen, vom feinen Zirpen bis hin zum lauten Kampfgeschrei mehrerer Altbären, leicht nachgeahmt werden können

In dem hessischen Revier stand jetzt der erste Praxistest an. Philipp wählte einen Erdsitz an einem Bachlauf und verbuchte schon nach einer halben Stunde den ersten Erfolg. Nach einem etwa 15-minütigen Lockkonzert mit kleinen Pausen kamen bei noch gutem Licht zwei starke Bären auf den Sitz zu. Einen erlegte er. Bei Klaus Demmel hingegen tat sich außer einem Fuchs noch nichts, und tiefschwarze Wolken ließen das Licht schnell schlechter werden. Andreas, der an einem dichten Schwarzdornverhau saß, kam bei grenzwertigem Licht noch zu Schuss, allerdings flüchtete der Maskenträger gefehlt ins nahe Dornenmeer. Er hatte auf das laute Kampfgeschrei reagiert.
Als Klaus Demmel direkt nach einer Rufserie zum Fernglas griff, waren etwa 50 Meter von ihm entfernt schemenhaft vier bis fünf dunkle Klumpen auszumachen. Ein Blick durchs 50er-Zielfernrohr zeigte ihm aber: keine Chance – weiter locken. Beim ersten feinen Zirpen kam wieder Bewegung in die Gruppe. Immer wieder Männchen machend kamen sie auf den Jäger zu, doch selbst auf dreißig Meter war an einen Schuss aus dem Drilling nicht zu denken. Das Bild im Zielfernrohr verschwamm zu einer schwarzen Suppe – es war einfach schon zu dunkel. Wenige Augenblicke später war die Rasselbande im angrenzenden Unterholz verschwunden. Obwohl Demmel keinen der Bären erlegen konnte, war er zufrieden und stolz. Denn sein Locker funktionierte.
Am vorletzten Abend wollten die Jäger noch herausfinden, wie die Waschbären reagieren, wenn dem arteigenen Geschrei noch der Klagelaut des sterbenden Kaninchens beigemischt wird. Das könnte nämlich den futterneidischen „Typen“ noch mehr auf die Sprünge helfen – so die Überlegung.

Schon vor Einbruch der Dämmerung wurde nach einer Wartezeit von etwa 20 Minuten nach Jagdbeginn „musiziert“. Es dauerte nicht lange, als aus Richtung von Demmels Sohn Andreas der erste Schuss fiel. Ihm war nach wenigen Minuten auf den Waschbär-Kaninchen-Mix ein starker Fuchsrüde zugestanden. Da die Gastgeber auch Füchse freigaben, ließ er sich nicht lange bitten.
Auch bei seinem Vater schienen die Rotröcke auf den Lock-Mix zu stehen. Noch in der Dämmerung steuerte dieser fünf Füchse zur Strecke bei. Mittlerweile krachte es auch wieder bei Andreas – ein weiterer Fuchs. Im letzten Büchsenlicht erlegte er aus einer Gruppe von mindestens fünf Waschbären seinen ersten. Die Truppe war unmittelbar nach einer Rufserie aufgetaucht und in Richtung Sitz marschiert.
Nun aber wurde das Licht innerhalb weniger Minuten so schlecht, dass bei Klaus und Philipp von je zwei Maskenträgern keiner mehr erlegt werden konnte. Philipp allerdings hatte noch eine Begegnung der besonderen Art: Als er vom Erdsitz aus eine Wiese abglaste, vernahm er direkt neben sich ein leises Tapsen. Der Blick nach unten offenbarte einen halbwüchsigen Bären, der etwa dreißig Zentimeter neben seinen Schuhen stand und ihn neugierig musterte. Offenbar sah der Jäger aber nicht sonderlich gefährlich aus, sodass der Halbstarke gelassen wieder dorthin verschwand, von wo er gekommen war. Es zeigte sich, dass der Waschbär – ähnlich dem Fuchs – die Quelle der Laute ganz genau orten kann.
Der Ansitz am dritten und letzten Abend dauerte nur kurz, denn schon vor Einbruch der Dunkelheit öffnete der Himmel vollends seine Schleusen. Dennoch konnte Klaus Demmel im letzten Licht noch seinen Bären erlegen. Wieder war es eine Gruppe von mehreren Räubern, die den Lockrufen folgten. Andreas hatte keinen Anblick mehr. Philipp allerdings präsentierte voller Stolz noch seinen ersten Fuchs. Insgesamt kamen drei Waschbären und acht Füchse zur Strecke. Bei besserem Wetter wären es sicherlich weit mehr Maskierte gewesen. Alles in allem haben aber mindestens 15 bis 20 Waschbären auf die Ruflaute reagiert.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen
ANZEIGE

ANZEIGE
Aboangebot